Samstag, 20.11 Uhr. Ich sehe, dass CURLEE WURLEE heute
spielen, im „Schokoladen“. An jedem anderen Tag würde ich vor Freude aufheulen
und es wäre überhaupt keine Frage, zum Konzert dieser tollen Band in diesem
tollen Laden zu gehen. Aber heute? Nein, ausgeschlossen. Fühle mich traurig, ermattet,
gebremst, wie gelähmt, als ob ich Blei in den Knochen hätte. Und da im Schokoladen
immer um 22 Uhr Schluss sein muss, warte ich nur noch kurz, und die Gelegenheit
ist eh vorbei.
Samstag, 20.51 Uhr. Da steht immer noch, dass CURLEE WURLEE
heute spielen, im Schokoladen. So weit ist es nicht. Gerade mal 15 Minuten mit
dem Fahrrad, und das auf der neu entdeckten Traum-Route durch die Ost-City auf
der Linienstraße. Und wenn ich jetzt noch los gehe, könnte ich eventuell
wirklich noch…
CURLEE WURLEE hatte ich irgendwann Mitte der 2000er im „Wild
at heart“ gesehen. Im Anschluss an das Konzert habe ich mir Platten von ihnen
gekauft, und ich erinnere mich, wie die Sängerin, die sie mir verkaufte, mir begeistert zujubelte: „Schön, dass es dir gefallen hat!“.
Das werde ich wohl immer mit dieser Band und diesen Platten verbinden. Danach
habe ich CURLEE WURLEE aus den Augen verloren. Ich wusste gar nicht, dass es
sie noch gibt. Ihren toll eingängigen Song „Black hair“ von der Picture-7“ habe
ich öfters in der KVU gespielt, als ich da noch aufgelegt habe.
Also los jetzt. Das ist doch genau das Richtige. Und nicht,
Trübsal zu blasen! Also rauf auf’s Pferd. Gleich an der Ecke am Spätkauf… das ist
doch Michi von EROTIC DEVICES, und neben ihm steht Gers, den ich schon seit
Jahren nicht mehr gesehen habe! Was für eine Freude! Gers spricht nur Englisch;
da ich mit einer Frau zusammen arbeite, die bisher auch fast nur Englisch
spricht, bin ich das Sprechen in dieser Sprache gerade gewöhnt; ich merke, wie
es flutscht, und das bringt weitere Punkte für die Bessere-Laune-Skala! Es
stellt sich heraus, dass Erotic Devices, mit denen ich immerhin mal eine Platte
gemacht habe, nun genau gegenüber meines neuen Heimes proben…
Aber der Schokoladen ruft, und ich komme original an, als
CURLEE WURLEE gerade auf die Bühne gehen. Gerade noch Zeit, ein Radler zu
holen, und dann geht es los. Es wird wiederum ein großartiger Auftritt.
Garage-Punk mit Orgel,
was dem ganzen einen 60’s-touch gibt, und das besondere Pfund ist natürlich die
Sängerin mit dem charmanten
französischen Akzent. 45 Minuten, für die sich die Anreise gelohnt hat. Als
Erinnerung hole ich mir noch ihre neue 7“; seit den Platten, die ich habe, sind
verschiedene andere erschienen, aber die neueste genügt nun erstmal.
Eigentlich bin ich im Wort, gleich nach dem Konzert nach
Hause zu fahren, um auf einen Hund aufzupassen. Freunde nehmen mich aber noch
mit zu einer Party von „Marbert“. Das ist sicher Marbert von BERTZ RACHE, denke
ich mir. Ich selbst kenne ihn nicht persönlich, aber ich kenne sonst keinen,
der so heißt, und das traditionelle home von Bertz Rache (die übrigens im Jahr
1993 eine 7“ bei Incognito Records veröffentlichten, u.a. mit dem Hit „Im Osten
gibt’s kein Telefon“) ist doch hier um die Ecke. Natürlich ist es so, wie
gedacht. Aber ich staune, denn alles bei Marbert ist wie im Ost-Berlin der 90er
Jahre. Ein schrottiges, unsaniertes Haus. Fassade, Treppenhaus: alles rott, provisorisch geflickt und liebevoll umgestaltet
und angemalt. Die Tür zum Treppenhaus steht natürlich – ganz traditionell – für
jederman offen. In den Wohnungen noch Kohleöfen. Selbst die Einrichtung der
Wohnung ist noch ganz im 90er Jahre-Stil. U.a. ein geil-debiles "Winnetou und
Old Shatterhand"-Gemälde vom Flohmarkt über der Couch. Ein schönes Erlebnis, die
90er Jahre konserviert wieder zu sehen. Und das im Jahre 2017 in Berlin-Mitte,
das sonst doch so vollständig durch saniert wirkt!
Noch kurz ein paar Happen in der Küche genommen, und dann aber nach Hause zum
Hund.
Ich habe derzeit zwei Leute um mich, die längere Zeit in
England gelebt haben. Beide lachen, als ich ihnen von CURLEE WURLEE erzähle,
und es stellt sich heraus, dass CURLY WURLY ein englischer Schoko-Riegel ist;
die Verpackung ist wirklich zu hässlich, um sie hier abzubilden. Aber so hatte
es eine besondere Verbindung, dass CURLEE WURLEE ausgerechnet im „Schokoladen“
gespielt haben…
Labels: Berlin, Punk, Punk aktuell