Thursday, January 28, 2016

Gerhard Mayer-Vorfelder und "Ein stürmisches Leben"

Letztes Jahr ist Gerhard Mayer-Vorfelder verstorben. In den USA gab es die Band Punk-/HC-REAGAN YOUTH. In der Schweiz gab es in den frühen 90ern ein Punk-Fanzine namens BLOCHER YOUTH. Ich hab mir immer vorgestellt, dass meine "Youth" VORFELDER YOUTH heißen würde, wenn ich sie nach jenem Punk-Motto bezeichnen wollen würde.
"MV" war als Kultusminister von Baden-Württemberg ab der frühen Grundschulzeit mein Begleiter in allen schulischen Dingen. Seine Unterschrift und sein Konterfei auf Urkunden von Bundesjugendspielen, offiziellen Anschreiben, uswusf. Auch als Präsident des VfB Stuttgart war er allgegenwärtig. Und als Landtags-Kandidat für den Wahlkreis Stuttgart 2 hing sein Gesicht alle paar Jahre in unseren Straßen herum. Ich erinnere mich, dass ihm dabei mindestens einmal ein (Hitler-)"Bärtle" gemalt wurde. Denn "MV" galt (und war es sicher auch) als rechts-konservativ. Für mich verkörperte er auch geradezu die von mir damals wahrgenommene vorherrschende stockkonservative Mentalität in Stuttgart.
Ich bin nicht mehr oft in Stuttgart, aber ich habe den Eindruck, dass das Stockkonservative schon längst nicht mehr die allein dominierende Mentalität ist. Abzulesen auch an den Protesten gegen Stuttgart 21 und generell den Wahlergebnissen der letzten Jahre. Ganz und gar nicht zu jenem Bild des harten Knochens passte ein Interview mit ihm, das ich einst im SWR-Fernsehen sah. In dem er sehr persönlich berichtete, wie er im Kreise von Sportkameraden gern singe. Kurz danach traf ich ihn auch mal persönlich auf der Straße in Stuttgart-West und wir begrüßten uns kurz.
Noch zu seinen Lebzeiten, im Jahr 2012, veröffentlichte "MV" seine Erinnerungen unter dem Titel "Ein stürmisches Leben". Es war nicht unbedingt Sympathie, aber wohl Neugier, die mich dazu brachte, es mir zu Weihnachten zu wünschen. Sein Tod hatte ihn mir zurück ins Gedächtnis gerufen. Und ebenso der peinliche, Mitleid-erregende Auftritt von Wolfgang Niersbach in der Presse-Konferenz zum Skandal um die WM 2006. Wie sehr hätte ich mir da einen mit allen Wassern gewaschenen Profi wie "MV" an dessen Stelle gewünscht!
Nun habe ich es durch; die knapp 200 Seiten ließen sich sehr zügig lesen, und es war manches Interessante dabei. In nicht immer chronologischer Reihenfolge berichtet er über seine Kindheit und Jugend (1944 als 11-jähriger schon Anführer seiner Jung-Schar), über frühe Reisen ins Ausland (v.a. Frankreich), Studienzeit (Abneigung gegen Tübingen, Begeisterung für Heidelberg), Referendarszeit, beginnende Tätigkeit am Landratsamt Nürtingen. Von dort aus dann Ruf in die Politik, und fortan tätig im Umfeld von Menschen wie Manfred Rommel, Hans-Karl Filbinger, Lothar Späth, Erwin Teufel. Er lässt dabei manche seiner Grundüberzeugungen durchblicken, und das sind die Abschnitte, die man in einem Buch wie diesem sicher besonders sucht. Hart zu sein, konsequent zu sein, bei seinen Überzeugungen zu bleiben, auch wenn das einem die aktuelle Lage nicht unbedingt leicht macht. Oder wenn er die Tätigkeit unter Filbinger idealisiert, eine nach seinen Schilderungen nach innen völlig offene Diskussion, in der um die beste Lösung gerungen wurde. Nach außen hin dann jedoch ein geschlossenenes Auftreten, in dem sich die Truppe nicht auseinanderdividieren ließ. Auch seine Charakterisierungen der badischen ("eher katholisch-lebensfroh") im Gegensatz zur württembergischen ("eher evangelisch-piätistischen") Lebensweise ist interessant.Von diesen persönlichen Grundüberzeugungen hätte ich gern mehr gelesen. 
Unter Filbinger ist er - auf Vermittlung von Manfred Rommel - zunächst persönlicher Referent, ab 1976 - 1978 (als Filbinger abtreten musste) Staatssekretär mit Kabinettsrang im Finanzministerium. 1980 wird er Kultus- und Sportminister unter Lothar Späth, ab 1991 Finanzminister unter Erwin Teufel. In all den Jahren scheint er ein Anhänger von Filbinger geblieben zu sein: Lothar Späth erscheint ihm als zu unstet, zur Zusammenarbeit mit Erwin Teufel äußert er sich eher unzufrieden. Rufe in die Bundespolitik (u.a. in den späten 80ern) habe er stets abgelehnt aus dem Gedanken an seine Familie, die in Zeiten der Bedrohung durch die RAF nur mit Personenschutz hätte leben können.
Bitter getroffen müssen ihn auch die Auseinandersetzungen mit der organisierten Lehrerschaft in seiner Zeit als Kultusminister haben, denn feindlich-gesinnte Zeilen gegen die GEW und links-orientierte Lehrer ziehen sich bis in dieses Buch, das 32 Jahre nach seinem Antritt 1980 (und 21 Jahre nach seinem Wechsel ins Finanzministerium 1991) erschien. Angeblich wurden auch seine vier Kinder Opfer von "Feindseligkeiten" der Lehrer-Seite, so dass diese schließlich aufs katholische Albertus-Magnus-Gymnasium in Sommerrain wechselten. Dennoch ist es für mich nicht wirklich zu begreifen, warum er mit dieser Auseinandersetzung - die er auch immer wieder offensiv geführt hat, was ihm sicher bewusst gewesen ist - offenbar keinen Frieden schließen konnte. Ich bin in eben jenen Jahren zur Schule gegangen (als es im Buch um "Mengenleere" geht, sehe ich mich aus dem Grundschulfenster blicken!) und kann nicht sagen, dass ich viele übermäßig linke Lehrerinnen und Lehrer gehabt hätte. Insofern muss da eine tief persönliche Verletzung stattgefunden haben. Oder es ging ihm als Konservativen zu sehr gegen den Strich, dass Lehrerinnen und Lehrer linke, sozialistische Vorstellungen gehabt haben. Und die Schüler diesen ausgesetzt waren! Auch dass er Filbinger vorbehaltlos unterstützt, und dessen Rolle als Richter zur NS-Zeit einzig aus der legalistischen Sicht und nicht auch aus der Sicht der Opfer zu betrachten vermag, ist mir - auch wenn ich eine konservative Warte zugrunde lege - letztendlich zu wenig. Von einem aufgeklärten Konservativen möchte ich schon erwarten, dass er einsieht, dass es auch andere Meinungen gibt und diese auch eine Berechtigung haben.
Fußball, also der VfB Stuttgart, die Fußball-Nationalmannschaft und der DFB, nehmen im Buch eine zweite größere Rolle ein. Hierbei sind die interessantesten Bereiche die, in denen er aus dem Nähkästchen plaudert. Etwa von seiner Bewunderung für Menschen wie Jürgen Sundermann, Christoph Daum oder Jürgen Klinsmann. Nicht allzusehr zwischen den Zeilen versteckt ist eine Abneigung gegen Franz Beckenbauer, der angeblich interne Vereinbarungen in den 2000er Jahren umgehend an die BILD-Zeitung weitergab. Ansonsten nennt er Ulrich Maurer (in den 1990er Jahren SPD, heute Linkspartei) im Buch einen "Armleuchter". Und kritisiert den Kurs von Angela Merkel, der er vorwirft, die CDU zu einer "Partei der Beliebigkeit" gemacht zu haben, die den konservativen Kern abgeschmolzen habe und der "kurzfristige Erfolge wichtiger" seien "als Prinzipien und Werte". Voller Bewunderung ist er hingegen für Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Dem amtierenden grünen Ministerpräsidenten Kretschmann hält er zugute, dass dieser ihn einst gegen Nazi-Vorwürfe aus der grünen Partei verteidigt habe, und attestiert ihm, ein "grundsolider Politiker" und "Mensch mit wertkonservativen Wurzeln" zu sein.
Es lohnt sich, dieses Buch ein zweites Mal zu lesen, ich werde das gewiss bald tun. Letztendlich ist es aber ein Blick in die Vergangenheit. Paternalistisch, unnachgiebig, streng. Ehrfurcht, teils Angst auslösend. Manchmal auch durchaus rassistisch. Es wäre interessant zu erfahren, wie sich "MV" in der aktuellen Flüchtlingsfrage positionieren würde. Oder gegenüber eines nihilistischen islamistischen Terrors, der alle konservativen Überzeugungen, die Welt sei beherrschbar, unwirksam erscheinen lässt. Zumal sich heutzutage eine CDU-geführte Bundesregierung außerstande sieht, Landesgrenzen zu kontrollieren. Die Ära Mayer-Vorfelder ist vorbei, und auch die der Mentalität, die er verkörperte. Ob es im Zuge von "Pegida" und "AFD" zu einem bürgerlich-konservativen Rollback kommen wird, erscheint eher unwahrscheinlich. Da droht eher der - noch gefährlichere - Aufstand des Plebs.

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Nur keine Zeit verlieren

Die tägliche Route fing schon ungewöhnlich an. Es stand eine Frau vor dem Bio-Laden, die eine Obdachlosenzeitung verkaufen wollte. Auf einmal klingelte wohl ihr Handy, jedenfalls zückte sie dieses und sprach hinein. Bettlerin mit Handy: das war schonmal ein unbekannter Anblick. 
Der Anblick auf dem Rückweg dann jedoch noch ungewöhnlicher...
Ökonomisches Betteln im Jahre 2016. Ein Paar Cents abgreifen, aber dabei keine Zeit verlieren, sondern nebenbei noch mails abrufen - oder gar freelancen?
(Oder andersrum: Mails abrufen / freelancen, und nebenbei noch ein paar Cents abgreifen?)

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Sunday, January 10, 2016

Kriegerdekmäler in der Ex-DDR (Auswahl der diesmaligen Reise)

 An zentralem Orte in Neutrebbin (Oderbruch): ein Kriegerdenkmal, das bis auf die napoleonischen Kriege 1813-1815 zurückgeht!
Denkmal Neutrebbin (von Nahem)
 Dies Denkmal für die Toten des Krieges 1870-71 steht direkt vor der Kirche in Buckow (Märkische Schweiz), mitten im Stadtzentrum
Abschließend das Denkmal für die Befreier der Sowjetarmee in Seelow.

Mit bemerkenswertem Gruß der "ehemaligen Gegner", als wir vor Ort waren

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Weitere Eindrücke aus Kienitz

 Die Oder bei Kienitz, etwas nördlich des kleinen Hafens
 Im Hafen von Kienitz

Zugewuchertes Haus in Kienitz. Generell blieb der Eindruck, dass das Oderbruch auch 25 Jahre nach der Wende kein allzu gefragtes Gebiet ist.
 DDR-Emblem in einem offensichtlich verlassenen alten Haus in Kienitz. Was der Spaßvogel, der das dort aufgestellt hat, damit ausdrücken möchte, fände ich durchaus interessant...

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Gedenken in Kienitz

Kienitz ist ein kleiner, für mich schöner und geheimnisvoller, für viele andere hingegen jedoch sicher unscheinbarer Ort direkt an der Oder. Mit kleinem Hafen, großer Kirche und aktuell um 500 Einwohnern. Markant an zentraler Stelle ist ein Panzer-Denkmal zu Ehren der roten Armee.
 Der Panzer erinnert daran, dass Kienitz der erste Ort auf deutschem Gebiet über der Oder war, der 1945 von der roten Armee befreit wurde. Auf zwei interessanten Info-Tafeln vor Ort ist nachzulesen, dass die Sowjets zu dieser ungewöhnlich frühen Zeit (die große "Schlacht an den Seelower Höhen" fand erst Mitte April 1945 statt!) über die zugefrorene Oder vorrücken, einen Brückenkopf errichten und die Wehrmacht völlig überraschen konnte. Allerdings folgte eine 76 Tage dauernde Auseinandersetzung, in der bis zu 80% des Ortes zerstört wurde. Das Denkmal wurde 1970 auf Initiative des damaligen örtlichen Bürgermeisters errichtet.
Die Kriegshandlungen und die Jahre danach hat allerdings auch ein Denkmal zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkrieges, das gegenüber des Panzer-Denkmales steht und offenbar bis heute halbwegs gepflegt wird.
Am Sockel ist noch das Wappen von Kaiser Wilhelm II. zu sehen. Kriegerdenkmäler in der ehemaligen DDR wären ohnehin ein sehr interessantes Forschungsthema. Oftmals sind welche für den Ersten Weltkrieg (oder älter!) zu sehen, für den Zweiten Weltkrieg hingegen wenn überhaupt, dann welche für die Gefallenen der roten Armee und Tote aus dem Arbeiter-Widerstand gegen die Nazis. Nicht explizit für Soldaten der Wehrmacht - seien sie bei allem Eingebundensein in die Verbrechen des Regimes nicht auch Söhne der überlebenden Bevölkerung gewesen.
Kienitz hat das moderat gelöst und ganz offensichtlich in jüngerer Zeit ein Denkmal zugunsten der "Opfer 1939-1945" errichtet, das ebenfalls im "Gedenkpark" mitten im Ort steht.

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Alle Jahre wieder...

... geht quasi bei uns hinter'm Haus die Luxemburg-Liebkneckt-Gedächtnis-Demonstration vorbei. Heute habe ich es wieder nicht geschafft, rechtzeitig aufzustehen und mir das anzusehen. Ich hörte nur wieder einige ungewöhnliche Geräusche, und konnte dann vom Balkon aus in ca. 300 Meter Entfernung einige rote Fahnen vorbeiziehen sehen.
Eigentlich stehe ich auf so etwas: Fahnen, Ikonen, eindeutige Parolen. Auch wenn ich mir diese längst nicht mehr zu eigen machen kann. Wenn ich mir das ganz von Nahem angesehen hätte, dann als Beobachter, interessierter Beobachter. Es ist für den Historiker immer wieder interessant, auf wen da immer wieder Bezug genommen wird. So hieß die Demo vor einigen Jahren vorübergehend "LLL-", für "Luxemburg, Liebknecht, Lenin"-Demo, ehe es sich offenbar rumgesprochen hat, dass Lenin für heutige Maßstäbe doch nicht so cool gewesen ist... Vor einigen Jahren sah ich auch einige Stalin-Konterfeis. Zu DDR-Zeiten war dies eine staatlich verordnete Demo, zu der zwangsfreiwillig einige zehn-, wenn nicht hunderttausende von Leuten aufmarschierten. Als die Demo vor etwa 10-15 Jahren nochmal eine richtig starke Blüte erlebte, wurde das auch als eine Form von "Ostalgie" begriffen, als nun - längst freiwillig - immer noch bzw. wieder zehntausende Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet (und wohl auch aus dem Ausland) mitliefen. Getragen wird die Demo heutzutage nicht nur aus der traditionellen Linken aus Linkspartei und DKP, sondern auch aus Teilen der "modernen"(?) oder zumindest jugendlichen Antifa-Linken; eine Strategie, die ich übrigens - wenn man die Demo als "Treff- und Sammelpunkt der Linken" betrachtet und als Ort, neue Bündnisse zu schließen - durchaus als sinnvoll erachte.   
Dieses Jahr hätte es am Ende der Demo in Friedrichsfelde eine Führung zu den Gräbern gegeben, mit Bernd Langer, einem wirklich fähigem, reflektiertem Antifa-Historiker, dessen aktuelles Buch zur Geschichte der Antifa allerdings seltsam dünn geblieben ist. Da wäre ich durchaus gern dabei gewesen, leider zu spät entdeckt.

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