SLIME-Band-Biographie
Eine
Band-Biographie über Slime? Für Fans
ein Muss, sollte man meinen. Unbesehen habe ich es mir dann auch schenken
lassen, kurz nachdem das Buch am 4. März 2013 erschien.
Der
spontane Eindruck beim ersten Durchblättern war dann etwas enttäuschend. Es ist
sehr groß geschrieben („für Lese-Anfänger extra groß geschrieben“, hat das ein
Fanzine-Herausgeber mal genannt), enthält wenige Abbildungen (und von diesen
kennt man die meisten schon) und in der Band-Diskographie sind nicht alle
Scheiben mit Cover abgebildet.
Dennoch
habe ich es natürlich gelesen, und es fällt schnell auf, dass das Buch sehr
leicht zu lesen ist. Der Text erinnert an einen „Spiegel“-Artikel: es ist
Fakten-reich, journalistisch gut aufgearbeitet und sehr gut lesbar verfasst.
Weitgehend chronologisch arbeitet der Autor, ein Journalist aus St. Gallen in
der Schweiz, Jahrgang 1979, die ebenfalls 1979 beginnende Band-Geschichte von Slime auf. Er stützt sich dabei vor
allem auf nachträglich getätigte Aussagen der (ehemaligen oder immer noch
aktiven) Band-Mitglieder sowie von Menschen, die im Laufe ihres Lebens mit Slime in Berührung gekommen waren. Und
es ist durchaus reizvoll, Beobachtungen von Musikern wie Schorsch Kamerun,
Rocko Schamoni, Jan Delay und zahlreichen anderen zu hören: prominente Musiker,
die man nicht automatisch mit Slime
in Verbindung gebracht hätte.
Weiterhin
besonders interessant ist der Hintergrund zum „Deutschland muss sterben“-Text,
das alte Krieger-Denkmal aus der Nazi-Zeit, das immer noch in Hamburg steht,
obwohl es nach dem Krieg eigentlich geschleift werden sollte. Ebenfalls
spannend natürlich die Geschichten zum frühen Punk in Hamburg, der Hamburger
Hafenstraße und zum FC St. Pauli: alles Entwicklungen im direkten Umfeld von Slime. Und die
Band-Entwicklungs-Geschichte selbst: die Ur-Besetzung (zu der weder Dirk Jura
noch Stephan Mahler gehörten), die Umbesetzungen, die Indizierungen und darauf
folgenden (Selbst-) Zensierungen, der Kommerz-Vorwurf (thematisiert mit dem
Album „Alle gegen Alle“), Hintergründe zur ersten Auflösung 1984 und der
legendären „Ansage“ zum Konzert in Berlin / Pankehallen 1984: mit dieser war
also eine Gruppe Nazis gemeint, die sich eingeschlichen hatte. Die Re-Union
1992 mit den beiden LPs „Viva La Muerte“ und „Schweineherbst“ und der erneute
Split danach. Das Rubberslime-Experiment.
Die erneute Re-Union-Tour 2010, bis zur neuen LP mit Texten von Erich Mühsam.
Diese
Erzählungen bringen interessante Hintergründe zutage, und die Lektüre lässt
einen neu überlegen, was einem die Band bedeutete und für was die Band stand.
Für mich persönlich stehen Slime für
eine totale, radikale Verneinung von allem und jedem, eine Einstellung, die
sehr einschneidend und wichtig für mein weiteres Leben wurde.
Daniel
Ryser hat die geführten Interviews in einer ansprechenden, gut lesbaren Form
zusammen getragen. Deutlich wird jedoch eine spürbare Distanz zur Band und zu
ihrem Umfeld, er dürfte sich keineswegs als Punk oder Linksradikaler begreifen.
Ein Satz von ihm mag das auf den Punkt bringen: „Es gibt ein Konzept, man kann es bürgerlich nennen oder einfach nur
vernünftig: zuerst eine Ausbildung abschließen und sich dann ordentlich
austoben. Dieses Konzept hatte Dirk nicht verinnerlicht.“ (S. 23)
Letztendlich
bleibt eine Schwäche des Buches, dass ein Außenstehender, deutlich jüngerer
Autor die Band-Geschichte von Slime
zu schreiben versucht. Es ist nicht zu spüren, dass der Autor ein Gefühl für
die Bedeutung der Band in der Punk- sowie der linksradikalen Szene und für die
Umstände der Zeit erhält. Er schreibt seinen Text aus heutiger Sicht und mit
heutigen (bürgerlichen) Wertungen.
Dieser
Blick von außen gibt ihm natürlich auch etwas Besonderes. Interessant sind
unter anderem seine Charaktisierungen der Band-Mitglieder (u.a. Dirk Jura als
das proletarische Element der Band und Elf als der ewige Rock’n’Roller –
schlechter kommt der als unbeständig, unzuverlässig und selbstherrlich
charakterisierte Stephan Mahler weg…). Dennoch hätte man sich als Fan einen
Band-Biographen gewünscht, der näher an der Zeit und mehr Teil des Geschehens
war.
Rein
Punk-historisch wäre es auch sehr interessant gewesen, der Frage nachzugehen,
wie Slime ihre besondere Stellung in
der Punk-Szene erreichen konnte, es gab ja um 1982 (DER klassischen
Deutschpunk-Ära) viele weitere Bands mit radikalen, eindeutigen Texten: warum
wurden Slime bedeutender als Toxoplasma oder Canal Terror? Auch bleibt die direkte Nachfolge-Band von Slime, Targets, völlig unerwähnt.
Auch rein
formal hätte dem Buch eine gute Prise mehr Punk-Spirit gut getan. In den
letzten Jahren boomte die Punk-Rückblicks-Literatur, deren herausragende
Exemplare gerade dadurch bestechen, dass sie zeitgenössische Original-Dokumente
wie Zeitungs- und Fanzineartikel, Flyer, Poster, u.ä. dokumentieren. Dies alles
fehlt schlicht, ist nicht vorhanden. Obwohl Slime gerade
Boulevard-Zeitungs-Artikel in nennenswerter Anzahl provoziert haben und es
sicher ein Leichtes gewesen wäre, diese aufzutreiben. Bei genauer Betrachtung
fallen dann auch in der Diskographie durchaus schwerwiegende Lücken auf. Hier
hätte es schon genügt, diese einem Fan vorab zum Lektorat vorzulegen. Auch eine
Auflistung aller gespielten Konzerte hätte sich in einer Band-Biographie sehr
gut gemacht.
So bleibt
der Eindruck, dass das Buch etwas schnellfertig abgeschlossen wurde,
möglicherweise drängte da der Termindruck, das Buch rechtzeitig zur Leipziger
Buchmesse vorliegen zu haben. Die Band scheint mit dem Buch zufrieden zu sein,
schließlich tourt sie im April mit dem Autor und führt eine Lese-Reise incl.
Akkustik-Set durch – ein Format übrigens, dass man schon vom Buch-Projekt
„Keine Zukunft war gestern“ kennt.
Es wäre
jedoch deutlich mehr drin gewesen, bei einer Biographie über die bis heute
wichtigste deutsche Punk-Band. Es bleibt ein Buch, das man einmal durchliest,
dann aber wieder beiseite legt und womöglich nie wieder anfasst. Einer
Neuauflage wünsche ich einen gehörig erweiterten Fan-Anteil.
Daniel Ryser: Slime. Deutschland
muss sterben.
Wilhelm Heyne Verlag München, 2013.