Dennis Rebmann, Philip Stratmann: Mit Schmackes! Punk im Ruhrgebiet.
Ich
erinnere mich sehr gut, wie mir das Ruhrgebiet Mitte der 1990er-Jahre als das
Mekka des Punkrocks galt. Selbst heftig aktiv in die Fanzine- und
Tape-Tausch-Szene involviert, erschien es mir unglaublich, wie viele Fanzines,
Labels, Bands und Radiosendungen es seinerzeit im Ruhrgebiet gab, und ich
stellte mir vor, wie sich die Szene bei den zahlreichen Konzerten zu
„Familien-Treffen“ versammelte. Es mag schon sein, dass das eher eine
PunkROCK-Szene war, also eine, die den musikalischen Aspekt von Punk betonte,
und dass die Politik eher an den Rand geriet. Dennoch: in jener Zeit
betrachtete ich das Ruhrgebiet als die entscheidende Punkrock-Hochburg in
Deutschland.
Die Zeit
der 1990er und 2000er Jahre rückt das vorliegende Buch, das nach Selbstauskunft
durch den Band „Kumpels in Kutten – Heavy Metal im Ruhrgebiet“ angeregt wurde,
in den Vordergrund. Als Grund dafür wird genannt, der Fokus werde auf die bis
heute noch aktive Szene gelegt. Die späten 1970er Jahre bleiben fast ganz
ausgespart (hierüber würde sich sicher ein eigenes Buch lohnen), über die 80er
Jahre erfährt man einiges im interessanten Überblicks-Artikel von Helge
Schreiber (ein Name, der für Qualität steht) und im Interview mit einem frühen
Aktivisten der Zeche Carl in Essen sowie in Stories über die Upright
Citizens und die Vorgruppe.
Gegliedert
nach Themen reihen sich Interviews und Artikel aneinander, immer wieder
bebildert mit ausgesuchten dokumentierten Flyern und in aller Regel qualitativ
hochwertigen Fotos sowie veranschaulicht durch Song-Texte. Thematisiert werden
dabei unter anderem Bands (Lokalmatadore, Kassierer und Eisenpimmel
bilden dabei einen gewissen Schwerpunkt, aber es werden auch zahlreiche andere
zumindest kurz vorgestellt), Labels (u.a. Dirty Faces, Impact und People
Like You Records), Fanzines (u.a. Ox, Plastic Bomb, Scumfuck,
Moloko
Plus,…), Konzertorte (u.a. Druckluft Oberhausen, Zwischenfall
Bochum, AZ Mülheim), Festivals und Plattenläden (u.a. Idiots
Records und New Liveshark). Bemerkenswert auch der „Blick von außen“ auf
die Bedeutung von Punk im Ruhrgebiet aus der Perspektive von Rüdiger Thomas aus
Düsseldorf und Schlaffke Wolff aus Haminkeln am Niederrhein.
Das Buch
überzeugte mich vom ersten Blättern an und war mir sofort sympathisch. Rein
inhaltlich könnte es auch ein gut gemachtes Fanzine sein, mit seiner Themenwahl
und auch der Vielseitigkeit der Äußerungen und Meinungen. Auch kommt es
stilistisch angenehm unakademisch, vielmehr erzählend daher. In der Form eines
(bunt) gedruckten Buches entfalten dann aber die Übersichtlichkeit und vor
allem der sehr gute Druck insbesondere bei Fotos und Abbildungen eine zusätzliche
Qualität.
Es fällt
auf, dass die befragten Protagonisten weitgehend sich selbst darstellen und
eigentlich sagen können, was sie wollen, ohne dass das Gesagte groß hinterfragt
wird. Das ist der einzige kleine Schwachpunkt dieses Buches, denn an manchen
Stellen wäre ein bisschen „Quer-Bürsten“, also ein kritisches Nachfragen
durchaus angebracht gewesen. Denn natürlich stellt sich die Frage, inwieweit
das Ox
noch ein Fanzine ist, und inwieweit ein normales Musik-Magazin. Auch beim
Interview mit Impact Records hätte mehr thematisiert werden können, warum
dieser Mailorder in manchen aktiven Szene-Kreisen nicht für voll genommen
wurde. Dieser kritische Blick fehlt. Das schmälert aber nicht wirklich den
rundum positiven Gesamteindruck dieses feinen Buches.
„Punkrock
und Ruhrgebiet – wie passt das zusammen?“ ist eine der Fragen, die sich durch
das ganze Buch ziehen. Neben aller Erdigkeit und Urbanität erscheint mir „Fünfe
gerade sein zu lassen“ eine Maxime zu sein, die für Punkrock und auch die
Menschen im Ruhrgebiet, wie sie von den einschlägigen Bands besungen werden,
wichtig ist. In diesem Sinne: nieder mit den Betreibern des neoliberal
gefärbten Strukturwandels, die das Ruhrgebiet aufhübschen wollen („All das, was Stadtplaner, Werbefachleute und
andere stets als Problem betrachten, wird in den hier vorgestellten Texten
explizit positiv verstanden und soll gefälligst auch so bleiben“, Zitat von
S. 265) - und hoch die Punkrock- und
Ruhrpott-Fahne!
Dennis
Rebmann, Philip Stratmann: Mit Schmackes! Punk im Ruhrgebiet. 269 Seiten,
Hardcover, Format 24,3 x 16,7 cm, Verlag Henselowsky Boschmann, Bottrop 2013.
Preis: 18,90 €. U.a. zu bekommen bei Incognito Records.