Gerrit Meijer, Gitarrist und Sänger von
PVC, ist Ende Februar 2017 im Alter von 69 gestorben. Das war für
mich der Anlass, mir sein Buch, das er letztes Jahr im Verlag
neues leben publizieren konnte, zum
Geburtstag zu wünschen. Der ein Tag vor seinem ist, wie ich erst aus dem Buch
erfahre. Ich bin Gerrit einmal persönlich gegenüber gesessen; ich schätzte ihn
als Typen ehrlich gesagt mehr als die Musik von
PVC, die mir – abgesehen von einer Handvoll Über-Hits – im ganzen
zu durchschnittlich ist. Das muss ich auch jetzt wieder sagen, nachdem ich mir
meine
PVC-Platten nach der Lektüre
des Buches nochmal gründlich durchgehört habe. Vielleicht wurde von dieser Band
schlicht viel zu viel veröffentlicht.
Gerrit Meijer ist mir als wacher, aufrechter und unpeinlicher Typ erschienen.
Der Meinungs-stark sagte, was er denkt, unabhängig davon, wie es bei anderen
ankommen mag. Vielleicht meint das der Untertitel des Buches „Die unzensierte
Geschichte“? Warum man eine Geschichte über „Berlin. Punk. PVC“ zensieren
wollen sollte, ist mir schleierhaft.
Auch
der Titel ist missverständlich. Berlin, Punk und
PVC ziehen sich zwar in der Tat durch das ganze Buch, sind aber
nicht die einzigen Themen. Passender wäre gewesen, das Buch die Memoiren von
Gerrit Meijer zu bezeichnen. Das Buch liest sich sehr leicht und locker, wird
aufgelockert durch ein paar s-w-Fotos.
Das Anfangskapitel über die Schulzeit ist eher schwach; die
beschriebene Zeit lag ihm womöglich zu fern, und ggf. besaß er auch keine Quellen
oder andere Zeugnisse, die ihm das Geschehen neu vor Augen führen hätten
können. Ab dann nimmt das Buch aber Fahrt auf und schon deutlich besser ist das
zweite Kapitel über seine Lehre und die Erlebnisse als Malocher sowie seine
ersten musikalischen Interessen. Spannend sind auch seine Eindrücke der
Teil-Stadt West-Berlin, auch „1968“ in West-Berlin bekommt er mit. Da lernt er
es, den Kopf zu schütteln über vehement ausgetragene Auseinandersetzungen über
die „reine Leere“, die ihm auch später immer wieder begegnen werden.
Es ist interessant, wie der begeisterte Musik-Fan und Plattensammler
schließlich zu Punk kommt. Ebenso, seine Sicht auf die frühe Berliner
Punk-Szene zu lesen; die Läden, Treffs, Bands. Unter anderem hat er Kontakte zu
Eff Jott Krüger von Ideal, die damals
gerade groß durchstarten (was dieser für einen Sprachfehler hatte, den er
offenbar geschickt kaschieren konnte, hätte mich ja genauer interessiert).
Insbesondere beschreibt er natürlich die
Geschichte von PVC, jener ersten
Berliner Punk- Band, die er 1977 mit gründet, 1979 aber verlässt. Für mich bleibt dabei die Frage offen, wie
angesagt PVC damals wirklich gewesen sind, denn die Publikumsreaktionen werden
als sehr unterschiedlich beschrieben.
Er gibt auch einen Blick auf die Punk-internen Auseinandersetzungen, die er aus
der Perspektive des Älteren schildert, der auch öfters angefeindet wird, unter
anderem allein deswegen, weil er älter ist. Und weil er – allein durch die
Erfahrungen von „1968“ – Diskussionen um die „reine Leere“ (teils gefolgt von
militanten Aktionen) in der Punk-Szene nur lächerlich finden kann. Er äußert
sich dabei keineswegs „Punk-feindlich“, wie es dem Buch schon vorgeworfen
wurde, sondern gibt den Blick frei darauf, dass es bereits damals in der
unmittelbaren Anfangszeit ganz verschiedene Vorstellungen von Punk gegeben hat.
Schön, dass er die Entwicklung von PVC
auch nach seinem Ausstieg weiterhin im Blick behält; die Band existiert ohne
ihn bis März 1984 weiter. Was er sonst über die 1980er schreibt, fand ich rein
aus musikalischem Blickwinkel eher uninteressant. Er startete viele Versuche
mit diversen Bands und Projekten, die aber – abgesehen von White Russia – zumindest mir völlig unbekannt geblieben sind.
Interessanter sind hier seine Eindrücke von Reisen nach Ost-Berlin mit einem
befreundeten Diplomaten. 1988 geht es dann mit PVC neu los, vor allem vorangetrieben durch das Interesse von Bela
B. von den Ärzten, der mit PVC einige
Songs aufnimmt und eine Maxi-Single veröffentlicht. Im Zusammenhang mit den
Mauerfall-Feierlichkeiten äußert sich Gerrit enttäuscht, dass ihr Management
sie nicht in von eben jenem Management organisierte Feier-Konzerte integrierte.
Was mich etwas verwundert, denn auch wenn PVC
die Songs „Wall City Rock“ und „Rocking till the wall breaks down“ gespielt
hatten: wer aus einem Massenpublikum – für das jene Konzerte konzipiert waren -
kannte schon diese Songs, wen hätten sie interessiert, wer hätte sie hören
wollen?
Für die 1990er Jahre beschreibt er einige bizarre Geschichten
aus dem Tour-Leben; so unter anderem ein Gerüst vor dem Proberaum, in dem die
Anlage steht; oder ein Juz, das dermaßen versifft ist, dass sie lieber nachts 400 km nach Hause fahren. Auch hier begegnen
ihm immer wieder Diskussionen um die „reine Lehre“. Besonders stark sind in
jenem Teil persönliche Erlebnisse und Gedanken, unter anderem, wenn er darüber
schreibt, wie er damit umgeht, wenn das PVC-Mitglied
Knut Schaller und seine Eltern sterben.
In der zweiten Hälfte der 2000er Jahre gründen sich PVC , über den Umweg der Band Gerrit and the Rock’n’Roll Stalinists,
neu. Etwa 2007 muss es gewesen sein, dass ich sie zwei oder dreimal gesehen habe.
Richtig überzeugend fand ich die Konzerte nie, es war mehr Respekt aus dem
Wissen heraus: okay, das ist PVC, eine ganz frühe Band. Man hatte
Respekt vor ihnen und war neugierig, sie mal sehen zu können. Aber dann ging
man lieber nach 4-5-6 Lieder zur Bar oder nach draußen... So war es oft
leer vor der Bühne. Schön, dass er wenige Jahre später letztendlich aus eigener
Entscheidung die Reiß-Leine zieht und nicht weiter für die „Ewig-Gestrigen“
spielen will, die auch keine Weiterentwicklung zulassen.
Für mich, der ich ihn etwas kannte, ist das Buch lesenswert.
Es ist unterhaltsam und in einer eigenen Art sehr gut lesbar geschrieben (im Übrigen
auch sehr gut lektoriert, es heißt lediglich DEPP JONES statt Deep Jones…).
Es war Anlass für mich, meine PVC-Platten
nochmal neu zu entdecken. Und lustig natürlich, einige Leute erwähnt zu finden,
die ich auch kenne. Das Buch ist kein essentieller Pflichtstoff, Freunde des
frühen Punkrocks, von Musiker-Biographien sowie von Gerrit Meijer kommen aber
auf ihre Kosten.
Labels: Berlin, Punk, Punk 77, Punk 80er