Tuesday, February 21, 2017

Auf der orangefarb'nen Eisenbahne - ... wollt' einmal ein Menschle fahre!

Ein Gastbeitrag von Stephan Schmauder
Als ich einen Tag vor Weihnachten 10 Minuten vor der Abfahrtszeit des neuen Zuges per Rad den Ostbahnhof erreicht hatte, fand ich am Bahnsteig 7 schon einige andere Wartende mit Koffer und Rucksack vor. Wir harrten gemeinsam voller Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Ich hatte einen Sitzplatz gebucht für die weite Reise von Berlin einmal diagonal fast durch’s ganze Land - mit einem Zug, der erst vor ein paar Wochen den Betrieb aufgenommen hatte. Von Berlin aus über Wolfsburg, Hannover, Göttingen, Fulda, Hanau, Frankfurt am Main, Darmstadt, Heidelberg bis nach Stuttgart: Ob das wohl gutgeht? Das hatte ich mich manchmal an den Abenden vorher gefragt, denn eine Eisenbahn zu betreiben kann eine ganz so simple Sache nicht sein, wie es die herkömmliche Bahn hierzulande ja seit Jahrzehnten beispielhaft vor Augen führt.
    Pünktlich auf die Minute rollte der Zug ein. Zum Glück so langsam, dass die einzelnen Abteil-Nummern ganz gut von der Bahnsteigkante abzulesen waren. Ich stellte schnell fest, ich befand mich am falschen Ende des Bahnsteigs - entgegen der Angaben auf dem Wagenstandanzeiger-Poster, das ja an jedem Bahnsteig ausgehängt wird. Die Waggons waren numerisch ganz durcheinander aneinander gehängt, wie er so in den Bahnhof hereinrollte. Irgendwie fand ich das sympathisch, denn ich erwarte von einem Neuling im Eisenbahn-Geschäft zehn Tage nach der offiziellen Inbetriebnahme gewiss keine Perfektion - die kriege ich ja bei der Konkurrenz auch nicht. Meine zwei Wanderrucksäcke über die Schulter reißend, rannte ich, so schnell ich konnte, über den gesamten Bahnsteig, bis an das hintere Ende der Halle des Ostbahnhofs. Eine plötzliche Vorfreude ergriff mich. Der Zug erstrahlte in einem frisch lackierten Abendsonnen-Orangeton - nur die Zugmaschine, die Lokomotive, offenbar ein mir unbekanntes Fabrikat, kontrastierte dazu farblich in einem nachtschwarzen Blau. Ein freundlich aussehender, sehr junger Schaffner erwartete mich am hinteren Ende des letzten Wagenteils, erwiderte gutgelaunt meinen Gruß, in seiner rechten Hand hielt er schon die Plastikkarte mit dem großen roten Punkt gezückt, mit dem er gleich den Zug auf die Weiterreise schicken würde. Ich sprang mit jugendlichem Übermut in den Zug und sah gleich: Ja, genau, alles so wie damals, als ich die Eisenbahn einst als Steppke kennengelernt hatte. Der Waggon bestand etwa zu gleichen Teilen aus einer langen Reihe von per Schiebetür abgesonderten Kabinen oder Separées zu je sechs Sitz-Plätzen in sattfarbener Polsterung und einem Großraumbereich, der schon an künftige Zuginnenachitekturen erinnerte. Ganz so sahen die Fernzüge aus, bevor irgendwann Ende der 1980er Jahre auf die in Pastelltönen gehaltenen Interregio-Waggons umgesattelt worden war. So wie ich es mir ausgemalt hatte. Was mich nun erstaunte: der Zug schien ganz leer, die paar Leute auf dem Gehsteig des Ostbahnhofs hatte er im Nu aborbiert, und sie verteilten sich spärlich auf die Gesamtlänge der Eisenbahn, die bestimmt 300 Meter betrug. Und das einen Tag vor Weihnachten. Wie kam das? Zunächst war ich jedoch noch so mit dem Erkunden, Umherschweifen und genießenden Einstimmen auf die weite Reise beschäftigt, während der Zug sich in Bewegung setzte und langsam über die bekannte S-Bahn-Trasse in Richtung Westen rollte, an Alex, Hackeschem Markt und an der Friedrichstraße vorbei.
    Dann erreichte die Eisenbahn den neuen Berliner Hauptbahnhof, und jetzt klärte es sich auf; ganze Trauben von fröhlich und neugierig dreinschauenden Menschen warteten schon am Bahnsteig. Der Zustieg am Ostbahnhof war eher einer Minderheit der Berliner Fahrgäste vorbehalten. Gleich darauf enterte eine resolut wirkende sehr schlanke Frau mein Abteil und wies mich nach kurzer Orientierung darauf hin, auf Ihrem reservierten Fensterplatz  zu sitzen. Ich erwiderte, ich könne mich gerne umsetzen, dann würde ich mich vis à vis am Fenster platzieren. Wir wurden uns schnell einig; sie setzte sich gleich mir gegenüber und recht schnell waren wir in eine angeregte Unterhaltung über die vor uns liegende, recht famos sich anlassende Bahnfahrt vertieft. Zwischendurch ging jeweils eine(r) von uns auf eine längere Erkundungspirsch durch den ganzen Zug, zunächst einmal auf der Suche nach einer zugänglichen Toilette, denn die unserem Abteil am nächsten gelegene Klosetterie war leider zugesperrt: Geschlossen wegen eines Defekts. Mich störte das nicht weiter, denn dadurch ergab sich ja gleich der Anlass, mal den ganzen Zug näher zu inspizieren. Meine Mitreisende hingegen kehrte von ihrem Erkundungsgang erst nach zehn Minuten zurück und meinte, auch das nächste und das übernächste Klosett seien wohl wegen Überflutung gesperrt. Dafür erzählte sie mir von den vielen gut besuchten "Themen-Abteilen" im Zug, die mir noch ganz unbekannt  waren, denn als ich die Reise im Netz gebucht hatte, war davon auf der Website des Eisenbahnunternehmens Locomore noch nichts zu lesen. Sie berichtete von einem Abteil für Strickende, einem, in dem Skat oder ähnliches gespielt wurde, einem, in dem über Start-ups oder Ideen dazu nachgedacht, gegrübelt und diskutiert werden könnte; einem für Fußball, Schach, etc, etc. Und ungefähr in der Mitte des Zuges gäbe es im Großraumabteil sogar eine Freifläche mit Holzspielzeug für Kinder, selbstverständlich mit einer handlichen Eisenbahn darunter, damit die Kleinen sich gut die Zeit vertreiben konnten auf der weiten Reise. Ich fand diese Ideen auf jeden Fall ganz großartig. Wir studierten gemeinsam die Getränke- und Speisekarte des Zuges - ein Bordrestaurant à la Mitropa gab es jetzt so kurz nach Betriebststart noch keines. Ein Becher Kaffee für 1,80 stand da zu lesen, dazu Bio-Sandwiches, Kuchen (auch Bio) - und sogar Bier aus ökologischen Anbau, sowie kleine andere Mahlzeiten und Getränke wurden feilgeboten. Wir beschlossen, zumindest einmal vom Kaffee Gebrauch zu machen - und nach Einbruch der Dunkelheit eventuell auch das Bio-Bier mal zu kosten, von dem laut Auskunft meiner liebreizenden Mitreisenden im Skat-Abteil zwei Waggons weiter vorne schon reichlich Gebrauch gemacht werden würde.
    Als dann draußen langsam über der Landschaft die Dämmerung einbrach, und ich mich wie versprochen auf den Weg machte, mich beim kleinen fahrbaren Bistro des Zuges um zwei Flaschen Bio-Bier zu bemühen, denn meine Mitreisende wollte nicht so lange warten, bis sich selbiger durch den ganzen langen Zug gearbeitet hatte, stellte ich gleich fest, wie gutgelaunt die meisten Reisenden das neue Mobilitäts-Angebot auf der Schiene annahmen. Nur ganz wenig miespetrig wirkende Gesichter bekam ich zu sehen auf meinem langen Marsch in Fahrtrichtung, die allermeisten Leute fand ich angenehm in Gespräche oder Spiele vertieft - und das ganz selbstverständlich auch außerhalb der Themenabteile, die ausdrücklich mit einem entsprechenden großen Papierkarton als soche mit dem jeweils besonderen Thema ausgewiesen waren. So subjektiv diese Eindrücke auch sein mögen, so sicher war ich doch, dass diese orangevernarrten Zug-Unternehmenden auf dem besten Wege waren, mit ihren Mitteln eine neue unverbrauchte Atmosphäre in dieses praktische und überaus günstige Fortbewegungsmittel hineinzutragen. Darüber sinnierte ich, als ich im vorderen Drittel auf den verwaisten Getränkewagen stieß und feststellte, dass das Personal gerade eine kleine Verschnaufpause einlegte. Da wollte ich gar nicht stören und beschloss, die letzten Meter auch noch zu machen, um mir wenigstens kurz die gewaltige Lokomotive anzuschauen ganz am anderen Ende der Eisenschlange. Dort stand ich dann, schaute auf das riesige nachtblaue Trumm hinter dem vorderen Fenster des ersten Waggons und hörte auf wundersame Weise aus der Ferne Klänge von klassischer Musik. Konnte das wahr sein? Ließ sich der Lokomotivführer die Fahrt nicht lang werden und hörte sich bei seinem Geschäft Beethoven oder eine andere Geistesgröße an, um den beachtlichen Lärm des Motors der Zugmaschine und das Holterdipolter der riesigen Zugräder im Gleisbett ein wenig zu übertönen? Das wird wohl ein Rätsel bleiben. Dennoch spürte ich, Magie lag in der Luft: Hier waltete ein Zugführer, der sich bei seiner Tätigkeit vielleicht von klassischer Musik inspirieren ließ: Ein Hauch von Steampunk umschwebte mich.
    Da ich das Rätsel eh' nicht lösen konnte, machte ich mich auf den Weg zurück, holte zwei Becher Kaffee, die ich billiger bekam, weil der Kaffee gerade zur Neige ging, steckte meine zwei Biere in die hinteren Hosentaschen meiner geräumigen Jeans und freute mich über das ausnahmslos gutgelaunte mitreisende Service-Personal auf der neuen Schwäbischen Eisenbahn. Denn mit Verlaub: Diese Assoziation stand mir schon die ganze Zeit im Sinn bei dem Gang durch den bunt gefüllten Zug mit seinen vielen sympathischen Gästen und netten Kondukteuren. Das einzige, was noch fehlte, waren zwischenrein freilaufende Hühner, schnatternde Gänse, glückliche Ferkel - und am hinteren Wagenteil des Zuges wie im bekannten Volkslied den obligatorischen Geißbock ..., oder war ich etwa selbst jener Geißbock, nur ausnahmsweise in Menschengestalt gekleidet? Hatte ich mich nicht ganz selbstverständlich gleich in das allerletzte Abteil des Zuges begeben? Wo war meine Leine abgeblieben? Egal, ich taumelte bei gefühlten 200 km/h Durchschnittstempo des Zuges und entsprechend durcheinandergerüttelt bis zu meinem letzten Waggon zurück, setzte mich zu meiner charmanten Mitreisenden, die sich zwischenzeitlich als Künstlerin, als eine Art moderne Bildhauerin und artistische Installateurin geoutet hatte und erfuhr ganz nebenbei, als ich im Gespräch seinen Namen fallenließ, dass sie mit meinem liebsten Kindergarten-Sandkasten-Freund zusammen Kunst studiert, mit ihm dann auch einen längeren Auslands-Aufenthalt in Paris verbracht hatte. Dass der ganz nebenbei als Radio-Moderator seit vielen Jahren bis zum heutigen Tage eine rund um Stuttgart legendäre Radiosendung moderiert, das erfuhr ich jetzt auch wie die alte Fastnacht hinterdrein: Bär on Air . Wir hatten also einen gemeinsamen Freund und Bekannten aus der Frühzeit meiner Lebens-Reise, der sie auch schon ein Stück des Wegs begleitet hatte. Wie klein die Welt doch manchmal ist.
    Schließlich konnte sich das Bistro-Wägelchen einige Stunden später doch noch bis zu uns im letzten Waggon durchkämpfen - eine Dame erkundigte sich zunächst nach unserem werten Befinden, bot uns sogleich ihre Dienste als Speisen- und Getränkelieferantin an, was wir dankend annahmen --- und fragte uns am Ende ganz nebenbei und auf unübertroffen charmante Weise nach unseren Zugtickets. Sie trat dabei eher wie eine eloquente Conférenciere auf als eine klassische Fahrkarten-Kontrolleurin. Anke Engelke als Zugschaffnerin - das hatte jetzt noch gefehlt. Die Bildhauerin und ich stießen mit unseren frischen Bio-Bieren gemeinsam mit den anderen Mitreisenden im Abteil an - und - mir sprang sich ganz unverhofft folgender Trinkspruch über die Lippen: "Lange schallt's im Zügle noch, die Leut' von Locomore, Sie leben hoch!"

(Abbildungen: 1 x Eurocards, 2 x www.locomore.com)

Saturday, February 18, 2017

DO, 9.2.

Haha, ich bin wirklich Mister Analog. Um mich herum in der S-Bahn tippt jeder in sein elektronisches Gerät, während ich zunächst in meinen Kalender und später ins Tagebuch schreibe. Hatte gerade heute Nacht davon geträumt, dass mich jemand auslacht, dass ich öffentlich sichtbar in meinen Kalender schreibe. Ich warte ja noch darauf, dass mich mal einer anpflaumt mit dem Hinweis, dass ich verglichen mit ihm mehr Platz einnehme. Mit einem Stift schreibend. Oder eine papierne Zeitung lesend.
Bei meinem direkten Gegenüber sehe ich immerhin eine gefaltete Zeitung am Rucksack. Mit lauter roten Sternen, offenbar ein Politnik. Sieht aber sehr nett und sanft aus. Rötlicher Bart, gütige Augen.
Vertieft in mein Geschreibsel, bekomme ich die Umsteigewelle an „Gesundbrunnen“ nicht mit. Als ich wieder aufblicke, blättert der neben mir auf einmal in einem Magazin. Und mein neues direktes Gegenüber beginnt gar auch einen Tagebucheintrag.
Schön.

Download-Fotos

Heute beim Aufräumen diese Download-Fotos gefunden... leider keine Quellen bzw. Credits mehr bekannt, sorry. Außer für das Unterste: das hat Stefano Stiletti aus dem Auto raus gemacht...






Friday, February 17, 2017

Von der Wiege bis zur Bahre - Berlinale, Berlinale!

Monday, February 06, 2017

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Sunday, February 05, 2017

Preußische Geschichte trifft Barnimkiez und löst Rätsel um „Höchste Straße“


Präsentiert sich der „Barnimkiez“, das neulich erwähnte neu entdeckte Gebiet rund um Barnimstraße, Höchste Straße und Co., heutzutage als unwirtliches, unfreundliches, enges DDR-Neubaugebiet, das an den von konservativer Seite gern gebrachte spöttische Spruch „Auch in der DDR war nicht alles gut“ denken lässt, überrascht es umso mehr, dass ausgerechnet dieser Teil des heutigen Friedrichshains zu den am frühesten bebauten zählt.
Das „Barnimviertel“ gehörte einst zur Georgenvorstadt, später Königsvorstadt, noch später Königsstadt genannt. Jene zog sich ausgehend vom am heutigen Alexanderplatz gelegenen Georgentor, das zur aus den Erfahrungen des 30-jährigen Krieges ab 1658 unter Kurfürst Friedrich Wilhelm (der „große Kurfürst“) errichteten Festung um Berlin gehörte, in nordöstliche Richtung. 1701 zog König Friedrich I. nach seiner Krönung in Königsberg durch jenes Tor in Berlin ein und seither wurde es Königstor und das davor bestehende Gebiet Königsvorstadt genannt.
Einige Jahrzehnte später wird ein neues „Königstor“  (zunächst "Bernauer Tor", ab 1809 Königstor) an der Kreuzung Friedenstraße, Greifswalder Straße Teil der ab 1734 unter König Friedrich Wilhelm I. („Soldatenkönig“) aus wirtschaftlichen Gründen errichteten Akzisemauer. Jene verlief u.a. entlang der heutigen Friedenstraße, die damals als Straße aber noch nicht existierte. Somit war die damals schon eingerichtete, auf einem Plan von 1829 als zumindest teilweise bebaut eingezeichnete „Höchste Straße“ tatsächlich die höchst gelegene jenes Viertels. Jener  im Buch „kleine Friedrichshain geschichte“ (Düspohl/Moldt 2013) dokumentierte Plan weist im Übrigen nahezu alle anderen Gebiete des heutigen Friedrichshains unbebaut: als Wiesen und Brachgelände aus.
Auf einem weiteren in diesem Buch abgebildeten Falk-Plan von 1948 ist schön zu sehen, wie stark jenes Viertel durch den Zweiten Weltkrieg beschädigt wurde, was die erfolgte Neubebauung (incl. teilweiser Änderung von Straßenverläufen) zur DDR-Zeit begreiflich macht.
Alles schlecht war in der DDR aber auch nicht – inzwischen konnte ich einen Durchgang durch das 300 Meter lange „Schlangen“-Hochhaus hin zu Mollstraße / Platz der Vereinten Nationen entdecken…

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Sonntags-Treff am Döner-Point

Bahnhof Strausberg

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