Thursday, September 13, 2018

Freitag (1): Aufbruch bei Frühtau

Ich bin schon ein richtiger Bergler oder Hüttener geworden. Um 6 Uhr stehe ich auf, suche meine am Abend zuvor schon bereit gelegten Sachen zusammen, trinke – auch auf dieser Hütte auf das Frühstück verzichtend – meinen morgendlichen Tee und kurz nach 7 Uhr bin ich auf der Piste. Ich hatte schon befürchtet, dass womöglich auch andere um diese markante Zeit aufbrechen würden. Aber die wahren Cracks sind wohl schon früher losgegangen. Oder eben in die andere Richtung. Für mich geht es zurück Richtung Tal, während die meisten anderen ja weiter in die Höhe wollen, zumeist in Richtung Klettersteig oder Mindelheimer Hütte. Es ist ein Morgen, wie ich mir ihn fast nicht besser vorstellen kann. Die Sonne hat sich gerade frisch über die Berggipfel erhoben, es ist noch leicht frisch, die Pflanzen tragen etwas Tau. Eine wahnsinns tolle Luft für die Nase, frisch-leuchtende Farben für die Augen. Und ich hab das alles für mich alleine, niemand ist vor mir, niemand folgt mir. Und das sollte auch eine ganze Weile so bleiben. Absolut brilliant.
Kurzentschlossen nehme ich nicht die Strecke zur Mittelstation der Fellhornbahn, für die ich noch eine verbilligte Rückfahrt frei habe, sondern entscheide mich dafür, den ganzen Weg ins Tal zu laufen. Das verspricht einen mir bisher unbekannten Weg, außerdem sieht das Tal sehr schön aus, wie es so vor mir liegt, und von der linken Seite klingt es danach, als ob ein ordentlicher Bach zu Tale bricht. Kurz vor Erreichen des (Hoch-) Tals, inzwischen dürfte es etwa 9 Uhr geworden sein, kommen mir die ersten Wanderer entgegen. Der Bach, der sich so höllisch tosend angehört hatte, stellt sich eher als mittleres Rinnsal heraus, dennoch nehme ich sein Kreuzen zum Anlass für eine erste Pause des jungen Tages, und nach der Rast auf der Tagdiebshöhe am Dienstag, dem Aufenthalt an der Stillach am Mittwoch sowie auf halber Höhe der Walser Hammerspitze am Donnerstag wird es einer der besonders schönen Momente der Reise!
Es dauert nochmal etwa eineinhalb Stunden, ehe ich an der Talstation der Fellhornbahn angekommen bin, wo es dann in den halbstündig fahrenden Bus nach Oberstdorf geht. Und von dort aus mit dem Zug mit Umstieg in Kaufbeuren nach Füssen. Meine ganze Reise ist etwas unkonventionell zusammengestellt; zunächst ist es auf den Hütten sehr unüblich, zwei oder noch mehr Nächte zu bleiben. Dazu betreibe ich mit meinen drei Standorten in sieben Tagen ein regelrechtes Allgäu-Hopping. Dass die heutige Distanz eine beträchtliche ist, zeigt mir nicht nur die Fahrzeit von rund drei Stunden, sondern auch der Fahrpreis von knapp 25 € mit Bahncard 25.
Der Aufenthalt in Oberstdorf war sehr kurz; vom heute angenehm leeren Bus geht es gleich zum Bahnhof, kurz in eine Bäckerei, und dann in den Zug. Schon im Zug fühle ich mich nach gerade einmal ein paar Tagen in den Bergen wie ein Gast in der Zivilisation. Das verstärkt sich noch in Füssen, wo die irritierenden Eindrücke von außen wie an mir abprallen, nicht wirklich zu mir vorzudringen vermögen. Und das, obwohl ich mich dazu entscheide, bei nur vermeintlicher Ortskenntnis in Richtung meiner heutigen, der Fritz-Putz-Hütte zu laufen. Statt mich in den Linienbus in Richtung Königsschlösser zu stopfen. Ich finde leider keinen Wanderweg, der mich aus Füssen herausführt, so muss ich weite Teile der Strecke an einer viel befahrenen Ausfallstraße entlang laufen. Sagenhaft… Der Vorteil ist jedoch, dass ich am schönen Schwanensee vorbeikomme, ein Moorsee, wie ich später erfahre, angenehm warm, und selbstverständlich mache ich dort Station. Einige hundert Meter weiter bin ich an der Station, wo die Linien- und Touristenbusse ankommen, finde zum Glück schnell den Pfad, der mich in Richtung der gewünschten Hütte bringen dürfte. Unten gibt es einen entsprechenden Pfeil, an einer wenig später folgenden Kreuzung bin ich mir aber nicht mehr sicher, ob ich richtig bin. Mir kommt ein Typ entgegen, der mir eher abgerissen auszusehen scheint, und mehr aus einem seltsamen Mit- oder Mitleidsgefühl spreche ich ihn an und frage nach dem Weg. Er stellt sich als sehr nett heraus, ein möglicherweise aus dem Osten kommender Musiker, der an einem der Königsschlösser – Hohenschwangau oder Neuschwanstein – in einer Kapelle oder einem Orchester spielt, mir einen Weg abseits der Touristenströme empfiehlt, und darüber hinaus geeignete Stellen am nahen Alpsee. Möglicherweise war auch einfach nur meine Wahrnehmung getrübt und ich habe ihn wegen der Lederhose, die er trug, für „abgerissen“ gehalten.
Ich laufe weiter bergauf bis zur „Jugend“, wo die letzten Busse enden, die zu den Schlössern führen. Von dort aus stehen mir laut Hüttenführer drei mögliche Wege zur Fritz-Putz-Hütte frei. Ich entscheide mich für den "Wasserleitungsweg", der nicht an einer Fahrstraße entlang führt; einen, den auch die Hütte selbst empfiehlt. Dieser stellt sich jedoch als absolut öde heraus. Es ist ein breiter Waldweg, der auch von PKW befahren werden kann. Nach einem ersten steileren Anstieg geht es weitgehend eben voran, ein Waldweg, wie Waldwege eben so sind. Für die man aber wirklich nicht in die Alpen fahren muss. Interessant an diesem Stück ist jedoch, dass diese Ebene, dieses Hängetal deswegen entstanden ist, weil das tiefer liegende Tal durch den Lech-Gletscher verstopft war und der kleinere Gletscher dieses Tales deswegen nicht weiter vordringen konnte.
Am nächsten Tag sollte ich dann sehen, dass der Weg entlang des Fahrweges, der ohnehin kaum befahren ist (und ein skuriles Verkehrsschild mit der Aufschrift: „Radsportfreund, fahr langsam, dann lebst du länger!“ bietet), entlang des Gebirgsflusses Pöllat führt. Das wäre die interessantere und spektakulärere Wahl gewesen.    

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