Saturday, June 18, 2016

"Lager und Logistik, das ist immer das gleiche"

Günther* ist der Kollege, der mich eingelernt hat. Ein anfangs sehr brummeliger und maulfauler Kollege, geschätzt zehn Jahre älter als ich. Mit alten Tattoos, die ich nicht zuordnen konnte. Aber ich hatte in meiner Edeka-Zeit mitgekriegt, dass es nicht so gut kommt, allzu viel nachzufragen. Und ich wollte auch erstmal nur den Job haben, Geld verdienen, und alles andere war zweitrangig. Als andere Kollegen neu kamen, die von anderen eingelernt wurden, habe ich den Erzählungen allerdings mit Interesse und durchaus auch etwas Neid zugehört. Mir sonst aber mit der Zeit die Dinge selbst erschlossen, ein Prozess, der immer noch nicht vollständig abgeschlossen ist, wie ich immer mal wieder merke.
Mit zunehmender Verweildauer hat er sich aber zunehmend geöffnet, und inzwischen verstehen wir uns durchaus gut und lachen ab und an miteinander. Er ist vier Jahre in der Firma, was ich mit Staunen zur Kenntnis nahm. "Es ist doch jeden Tag das gleiche hier." - "Lager und Logistik, das ist immer das gleiche!" Er habe sich schonmal woanders beworben, wo es besser bezahlt gewesen wäre. Aber auch da wäre es immer das gleiche, und hier stimme auf jeden Fall das Betriebsklima (was ich bestätigen kann, und was mir von Anfang an aufgefallen war). Vielleicht lag es auch an der Musik, dass er sich mir gegenüber geöffnet hat. An der gemeinsamen Ablehnung des "Energy"-Senders, der häufig in der Firma läuft, und in dem ständig die selben Lieder laufen. Wir stellen dann manchmal um auf den Konsens-Sender "88,8", auf den sich letztendlich alle einigen können, und können mit den Pop-/Rock-Klassikern der 80er Jahre besser leben. "Die Stones, die sind 70, und machen immer noch Ballett!". Und 80 € für AC/DC live würde er auch ausgeben.
Zu DDR-Zeiten hat er in einer Gießerei gearbeitet, später bei der Reichsbahn in Rummelsburg, 3-Schicht-Betrieb, Zeit-Arbeit. "Hier machste dich auch kaputt, aber da war et viel schlimma." Als er neulich erzählte, dass er "Rucksack-Berliner" sei, staunte ich, denn ich dachte, das sei nun wirklich ein "echter". Aber stattdessen kommt er von der polnischen Grenze. Als ich fragte, ob das Oderbruch sei, hat ihn glaube ich gefreut, dass ich das zuornen konnte. Als ich erzählte, wo ich her komme, hat er ungläubig gelacht und gemeint, da sei er auch mal ein Jahr gewesen, wolle da aber nie wieder hin. Die übliche Geschichte: die einheimischen Schwaben hätten niemanden an sich rangelassen, und er habe gerade mal mit anderen Ossis und ein paar Türken Kontakt gehabt. Gute Erfahrungen habe er hingegen in Frankfurt/Main gemacht. Dass er zurück nach Berlin sei, könne er heute auch nicht wirklich verstehen, sein Stunden-Lohn sei von 20 Mark in Frankfurt auf 7 Mark in Berlin gesunken. Neulich fragte der Reinigungs-Mann anlässlich des bevorstehenden EM-Spiels Deutschland-Polen mit seinem leichten, offensiven Stottern, ob ich aus Polen sei. Ich sagte, nein, "aber der da", und zeigte mit einem Lächeln auf Günther. Er hat zwar mitgelächelt, aber hinterher hatte ich den Eindruck, dass er Polen wohl nicht besonders mag, als er meinte, "jetzt werde ich hier auch noch zum Polen gemacht". Auf jeden Fall ein interessanter Typ, und ich freue mich, einen wie ihn kennen gelernt zu haben.
 
(*= Name selbstverständlich geändert)

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