Friday, January 29, 2021

Buch: Hamburg Calling - Punk, Underground & Avantgarde 1977 - 1985

Eine meiner absolut ersten Punk-Platten war „Paranoia in der Straßenbahn – Punk in Hamburg 1977 – 1983“. Eine Zusammenstellung, die ich bis heute großartig finde und immer noch mit viel Freude anhören kann. Neben den Songs ist auch das „inner sleeve“ mit zahlreichen Informationen zu den Bands und den Punk-Jahren 1977 bis 1983 in Hamburg absolut großartig gelungen: so viele interessante Informationen so prägnant, stimmig und obendrein optisch gelungen auf einem begrenzten Platz versammelt zu haben, ist absolut bewundernswert! Diese Platte samt ihrer Aufmachung hat ganz sicher stark mein Bild von Punk in Hamburg geprägt. Wobei ich es auch immer absolut beachtlich fand und bis heute finde, wie viele „Fossilien“ in der Hamburger Punk-Szene unterwegs sind, die offenbar schon von sehr früher Zeit an „dabei“ sind und – teils in ganz verschiedenen Bands oder auch durch andere Szene-interne Aktivitäten - immer noch ihr Punk-Ding durchziehen. Sei es Hake von 3000 Yen, Bärbel, Sheep On A Tree, Arne von Noise Annoys, Bierspieler usw. oder die Jungs von Jam Today.
„Paranoia in der Straßenbahn“ hat meinen Blick sehr geprägt, und nun erschien im letzten Herbst ein ganzes Buch über Punk in Hamburg: „Hamburg calling – Punk, Underground & Avantgarde 1977 – 1985“, 146 Seiten im ordentlich großen Format 24 x 28 cm. Und es ist ein optisch wirklich schönes Buch, mit vielen Fotos von Konzerten und Schauplätzen (u.a. „Krawall 2000“) und vielen dokumentierten Flyern, Fanzine-Covern, Eintrittskarten, usw. All diese Abbildungen sind auch in eine gelungene, passende Gestaltung integriert. Ich finde es z.B. absolut toll, die Eintrittskarte für das Sex Pistols-Konzert 1978, das niemals stattgefunden hat, oder das Plakat des „Punk Rock & New Wave Festival“ vom 16.6.1978, das ich einst zuerst im "Punk-Zimmer" des leider verstorbenen Sittich Neumann hatte sehen können, in einem schönen Buch dokumentiert zu haben. Auch erinnert mich das Buch durch die Abbildung der Schauplätze an eigene Aufenthalte in Hamburg, die ich immer sehr genossen habe; es gibt gut eine Hamburg-spezifische Atmosphäre wieder. Und es ist – nach der Pandemie … - auf jeden Fall mal wieder Zeit für eine Reise dorthin.
Auch sind bundesweit prägende „Groß-Ereignisse“, die in Hamburg stattfanden, Thema dieses Buches: ich meine damit die drei Markthallen-Festivals 1979 und 1980, die Randale im Nobelviertel Pöseldorf sowie das aggressiv gestörte Clash-Konzert 1980. Ohnehin galt Hamburg neben Düsseldorf und Berlin als bedeutendste deutsche Stadt in jenen frühen Punk-Jahren.
Neben den zahlreichen Abbildungen besteht das Buch vor allem aus Interviews mit Protagonistinnen und Protagonisten jener Jahre, und hier wird auch wirklich der Untertitel „Punk, Underground & Avantgarde 1977 – 1985“ entscheidend. Erst jetzt ist mir bewusst geworden, dass „Paranoia in der Straßenbahn“ einen starken Fokus auf den rauen, auf den „dirty“ Teil der Hamburger Szene gelegt und die anderen Bereiche, die es auch gab, vernachlässigt hat. Hier hingegen sind nun Vertreterinnen und Vertreter ganz verschiedener Punk-, Wave und Underground-Stile vertreten, wie u.a.: Alfred Hilsberg, Jaeki Eldorado, Eugen Honold („Pretty Vacant“-Fanzine), Mike Buttock, Klaus Maeck („Rip Off“-Laden), Frank Z. (Abwärts), Andreas Dorau, Timo Blunck (Palais Schaumburg), Anja Huwe (X-Mal Deutschland), Michael Ruff (Geisterfahrer), Mona Mur, Schorsch Kamerun (Die Goldenen Zitronen) und Bernd Begemann (Die Antwort). Nicht alles davon interessiert mich ehrlich gesagt, dazu sind die Interviews relativ kurz gehalten, so dass sie allenfalls Anregungen geben, sich weiter mit den interviewten Personen und ihren Projekten zu beschäftigen. Auch die angehängte Diskografie – unter dem Titel „Lieber zu wenig als zuviel“ (das „5 Jahre ZickZack“ Festival 1984 mit 19 Bands hatte das gegenteilige Motto „Lieber  zuviel als zu wenig“) – bietet keinen vollständigen Überblick, sondern nennt nur eine „Auswahl“.  Dass Razzia im ganzen Buch nicht vorkommen, schmerzt mich persönlich etwas; dass Slime nicht interviewt werden, wundert mich, weil v.a. Elf nach meiner persönlichen Erfahrung sicher zu vielen Auskünften bereit gewesen wäre. Und relevant genug dürften beide Bands in jedem Fall gewesen sein. Das sind aber letztendlich persönliche Mini-Kritikpunkte, die objektiv betrachtet wohl nicht wirklich von Belang sind. Zwei Freunde aus Hamburg, die diese frühe Punk-Zeit in Hamburg miterlebt haben, äußerten sich auf alle Fälle alleine schon wegen all der Abbildungen zufrieden mit dem Buch. Und auch ich freue mich, es zu besitzen: es ist eine lohnenswerte Anschaffung für alle, die sich für die frühe Zeit von Punk in Deutschland interessieren!

(29,90 € direkt beim Junius-Verlag oder über jede Buchhandlung und manchen Punk-Mailorder)

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