Friday, December 25, 2020

Wedding Nettelbeckplatz

Ich staune jedes Mal, was für ein extrem unwirtlicher Ort der Vorplatz vor dem S- und U-Bhf Wedding ist. Wo die Lynar- auf die Müllerstraße stößt und auf der anderen Seite die Schildower in die Müllerstraße. Dauerbaustellen, Verkehr, ewiges Warten auf die Fußgängerampeln. Nur über diese kann man auch als Radfahrer die Müllerstraße an dieser Stelle überqueren. Es nervt.
Heute bin ich aber zu Fuß unterwegs und laufe einfach drauf los. Die Schildower Straße und der Nettelbeckplatz sind für mich sonst nur Durchfahrtstationen, wenn es in Richtung Humboldthain oder Prenzlauer Berg geht. Heute habe ich die Zeit, in aller Ruhe darüber zu laufen und auch mal stehen zu bleiben. Es sind nur wenige kleine Menschen-gruppen über den Platz verteilt. Der Imbiss an der Ecke hat geschlossen; es wirkt fast so, als sei es für immer. Dafür haben direkt daneben – trotz Feiertags – zwei Spätis offen. Der Nettelbeckplatz hat schon Atmosphäre, aber er hat auch was Schäbbiges, vor allem wohl wegen der teils heruntergekommenen Gebäude und Geschäfte um ihn herum. Beim Einbiegen nach Westen in die Gerichtstraße aber Verwunderung: „DA“, irgendwas mit „Appartements“. Ein superneuer, superschicker Neubau. Es fällt schwer, dieses Haus und diesen Platz zusammenzubringen.
Wenige Meter weiter steht das ehemalige Post-Gebäude. Es ist noch das Schild für Großeinlieferer und Postfächer zu sehen. Und der ehemalige Schriftzug „Postamt“ zu erkennen. Seit wann ist sie nicht mehr in Betrieb? Schräg gegenüber davon liegt in einem ehemaligen Krematorium das „Silent Green“, ein inzwischen schicker Ort für Kulturschaffende.  Einige Schritte weiter geht es über eine große Grünfläche, den Max-Josef-Metzger-Platz, zurück zur Müllerstraße. Von hier aus sieht diese sonst so furchtbare Straße ganz akzeptabel aus, wie jede andere. Kurzentschlossen biege ich die Ruheplatzstraße ein, die ihren Namen vom benachbarten Krematorium bzw. dem Urnenfriedhof bekommen hat.
Die nächste Straße ist die Antonstraße; ich weiß zunächst nicht richtig, wo ich bin, begreife dann aber, dass es südwestlich nun zu Karstadt gehen würde. In der anderen Richtung ist am Ende der Straße ein breites Haus zu erkennen und ich gehe in der Vermutung darauf zu, dass das die große Reinickendorfer Straße sein wird.  Unterwegs komme ich an einem wirklich stimmungsvollen, unter anderem durch Spielplätze genutzten Brachgelände vorbei, das in dieser Form auch im Prenzlauer Berg stehen könnte. Ich lande schließlich nicht auf der Reinickendorfer, sondern auf der deutlich kleineren Maxstraße. Nun weiß ich sogar, wo ich bin, denn vorn an der nächsten Ecke erkenne ich das linke / autonome Hausprojekt Schererstraße 8, in dem ich wohl im Herbst 2019 erstmals bei einem Konzert der richtig guten französischen Band Bronco Libre gewesen bin. Zwischen den vielen Plakaten und Flyern an der Außenwand des Hauses ist ein Plakat zu erkennen, das erklärt, dass auch die Metzgerei, die früher in jenem Haus war, bei der Weddinger Fleischrevolte von 1912 geplündert wurde. Die Kacheln der ehemaligen Metzgerei sind übrigens im Innenraum erhalten und geben diesem einen besonderen, wenn auch etwas kühlen Charme.  
An jener Straßenecke treffen sich die Max-, die Scherer und noch eine dritte Straße. Welch Ironie! Diesen Mai bin ich erstmals nach sehr langer Zeit am Sowjetischen Ehrenmal Schönholzer Heide in Pankow gewesen und habe mich sehr daran erfreut zu sehen, dass ausgerechnet vor jenem großen  Gelände  die „Germanenstraße“ verläuft. Das Straßenschild stammt noch aus der DDR-Zeit und zeugt davon, dass sie damals schon jenen Namen getragen haben muss. Die DDR es demnach nicht fertig gebracht oder es für nötig gehalten hat, der Straße einen anderen Namen zu geben.
Hier, direkt  vor dem Hausprojekt Schererstraße, beginnt tatsächlich einer der drei Adolfstraßen Berlins. Alle Straßenschilder sind auf verschiedene Weisen symbolisch abgeklebt.
Die Adolfstraße führt hinter den Mauern des ehemaligen Krematoriums vorüber und endet an der Ruine des ehemaligen Postamts.

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