Monday, January 11, 2021

"Manchmal ist etwas nur deshalb undenkbar, weil man nicht wahrhaben will, wie weit es schon gekommen ist."

Ist der Trumpismus durch die Ereignisse des vergangenen Mittwoch, als aufgepeitschte Anhängerinnen und Anhänger gewaltsam das Kapitol stürmten und es zu fünf Toten kam, nun endgültig entlarvt und damit abschließend disqualifiziert?
Das war die Hoffnung, die ich spontan hatte. Spätestens, als ich Benjamin Wolfmeier, den Sprecher der Republicans Overseas in einer Diskussion bei Phoenix sah, zerstob diese meine Hoffnung aber. Mir kam es so vor, als ob jedes einzelne Wort, das er von sich gab, gelogen ist.
Rückblickend staune ich schon fast, dass er immerhin einräumt, dass es diesen Sturm gegeben hat, und dass er sich davon distanziert. Als völlig "absurd" nennt er es aber, Donald Trump damit in Verbindung zu bringen. Er legt eher nahe, dass politische Gegner, womöglich "die Antifa" provozierend vorgeprescht seien.
Es geht heiter so weiter, ich will das nun im einzelnen nicht wiederholen. Den Mitdiskutant*innen gelang es, auch wenn ihr Unmut zu merken war, sachlich zu bleiben, was sicher bemerkenswert war. Wenige Tage später war Wolfmeier auch noch im Deutschlandfunk zu Gast, wo der Moderator versuchte, ihm engagiert zu widersprechen. Es gab v.a. dazu eine aufgeregte Debatte bei twitter, warum einem solchen Menschen die Möglichkeit gegeben wird, sein Gift zu verspritzen. Ich meine durchaus, dass auch so eine Stimme mal gehört werden sollte; um sie zu dokumentieren und um sich mit ihr auseinandersetzen zu können. Es wird nur dann wirklich schwierig, wenn die geäußerten Meinungen nichts mehr mit der Realität zu tun haben. Wenn Fakten geleugnet werden. Wenn der politische Gegner auf völlig absurde Weise nur noch verleumdet wird; wenn u.a. der Vergleich unternommen wird, die Demokraten würden politische Verhältnisse wie in Venezuela anstreben. Und sich der Gesprächpartner bei jedem Versuch, auf eine gemeinsame Basis zu kommen, mit immer neuen Provokationen herauswinden kann. Ihn festzunageln, ist zum Beispiel dem engagierten Moderator des Deutschlandfunks nicht gelungen, und deshalb bleibt von diesem Interview ein Schwall von "alternativen Fakten" und Verleumdungen zurück, der nun in der Welt ist.
Und der mich wohl deshalb besorgt, weil er mir zeigt, dass der Trumpismus auch mit dem hoffentlich in wenigen Tagen stattfindenden Abtreten von Trump nicht vorbei ist. Es gibt Menschen, die weiterhin wie selbstverständlich hinter ihm und seinen Ansichten und Taten stehen, und es sind viele. Und offenbar werden diese Leute auch gezielt in diesen Techniken geschult. Nicht nur in den USA, sondern auch "oversea", und auch in Deutschland. Wo auch schon längst die Spaltung der Gesellschaft voranschreitet und auch hier Verleumdungen, "alternative Fakten", gezielt gestreute Gerüchte, Verschwörungstheorien und all der ganze Mist sich immer weiter ausbreiten. Pegida, Querdenker, AFD.   

 "Manchmal ist etwas nur deshalb undenkbar, weil man nicht wahrhaben will, wie weit es schon gekommen ist." hat Georg Mascolo am 9.1.2021 in der Süddeutschen Zeitung über Angriffe auf die Pressevertreter*innen im Zuge der Übergriffe am Kapitol geschrieben. Der Satz lässt sich auch auf das Ausmaß der zutage getretenen Verleumdungen, Lügen und Verschwörungstheorien ausdehnen, und vielleicht ist mein Erstaunen deshalb so groß, weil ich mich bisher nicht ausreichend mit "kontrafaktischem Denken" usw. beschäftigt habe, zu dem es ja seit einiger Zeit Forschungen gibt. 

Ich freue mich, dass Trump nun bei twitter, Facebook usw. gesperrt wird, und halte das angesichts all seiner Hetze auch für absolut gerechtfertigt. Ich freue mich, wenn die Idioten, die in das Kapitol gestürmt sind und sich haben ablichten lassen, zur Rechenschaft gezogen werden, und ihre Jobs verlieren uswusf. Um ihnen Einhalt zu gebieten. Um ihnen zu zeigen: eure Taten haben Konsequenzen. Hört endlich mit diesem Mist auf! Und dass ihnen - allen voran Trump! - schlicht der Saft, die Aufmerksamkeit abgedreht wird. (dazu auch eine Stellungnahme der Forscherin Katharina Nocun im Medienmagazin Breitband von DLF Kultur.) Wenn Trumps Golfplätze nicht mehr für internationale Turniere genutzt werden. Wenn nun Colin Powell aus der republikanischen Partei austritt. Und all die kleinen Schritte, die nun unternommen werden und sich gegen Trump richten. Sie kommen spät, aber sie kommen, und es sollen noch viel mehr davon kommen. Dieses aktuelle Fahrwasser muss genutzt werden, Trump und Unterstützerinnen und Unterstützer sollen in der Defensive verbleiben.

Das Gift, das diese Leute verspritzen, ist aber weiterhin in der Gesellschaft, und zwar in einem Ausmaß und in einer weltweiten Verbreitung, das mir erst jetzt schrittweise klar zu werden scheint. Wenn ich ehrlich bin, macht mir diese neue Bedrohung Angst.

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