Sunday, January 18, 2015

Der Veränderungsdruck nagt an der ehemaligen Stasi-Zentrale

Anlässlich der 25. Wiederkehr der Erstürmung der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg hatte der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen am 17.01.2015 zu einem "Bürgertag" geladen, und das mit einem wahnsinnig umfangreichen Programm. Viele interessante Veranstaltungen, leider alle auf einen Tag gepackt, so dass man manches nicht verfolgen konnte, weil es sich schlichtweg mit anderem überschnitt. Schade, dass die Veranstaltungen nicht auf zwei Tage verteilt wurden!
So war jedoch eine Vorauswahl angesagt, und ich entschied mich dazu, mich auf das Themengebiet "Zukunft des Areals" zu konzentrieren. Das Gelände zwischen Ruschestraße, Normannenstraße, Magdalenenstraße und Frankfurter Allee hat immer noch einen einzigartigen Charakter. Und zwar den einer Burg. Bis heute macht dieser Ort einen bedrückenden, verstörenden, gruseligen Eindruck auf mich - er erscheint mir deshalb aber  ein authentischer und unbedingt erhaltenswerter Ort zu sein. In seiner speziellen Form ein "Kulturerbe". Das offenbar aber längst gefährdet ist und möglicherweise kurz vor seiner Zerstörung steht.
"Der Veränderungsdruck nagt auch an der ehemaligen Stasi-Zentrale", begann der Historiker Dr. Christian Halbrock seine Einführung zur Geschichte des Geländes. Erwartet werde nun, dass der Kiez zu einem der kommenden Studenten- und Kneipenkieze gemacht werden solle, nachdem die Bezirke innerhalb des S-Bahn-Rings für Studenten und "Kreative" weitgehend nicht mehr bezahlbar seien. Es hätte bereits seit 1990 einige wenige Abrisse (zuletzt den Verbindungsgang von Haus 18 zu Haus 2) und Zubauten (die Kantine der Deutschen Bahn) gegeben, und das Gelände nördlich der Normannenstraße sei ohnehin schon weitgehend überprägt. Nun sei aber auch der ehemalige Kern-Bereich gefährdet, abgesehen von den Denkmal-geschützten Häusern 1 und 2.
In der darauf gefolgten Diskussionsrunde wurden verschiedene Positionen vertreten. Constanze Cremer von der Stadtentwicklungs-Beratung "Stattbau" wies daraufhin, dass das Gelände überhaupt nur deswegen so lange bestehen konnte, weil sich Lichtenberg bis vor wenigen Jahren "in einem Dornröschenschlaf" befunden habe. Jetzt komme aber Bewegung in den Bezirk und unter anderem auch in jenen Kiez. Bereits die Hälfte der Gebäude sei schon in privater Hand.
Professorin  Sybille Frank von der TU Berlin (Planen / Bauen / Umwelt) empfahl eine Konzentration auf die Kerngebäude, das seien für sie die Häuser 1, 2, 7, 8 und 22. Die Restgebäude sieht sie offenbar als verhandelbar an. Sie mahnte auf jeden Fall an, die Anwohner bei den Entscheidungen miteinzubeziehen und führte dazu die negativen Entwicklungen in Friedrichshain und Kreuzberg an.
Der Bundesbeauftragte Roland Jahn pries das Areal als Ort der Repression und Revolution in einem, ein Ort, der "Teil des Ringens um demokratische Verhältnisse" gewesen sei. Es wurde schnell deutlich, dass er das Gelände gern erhalten würde, in welcher Form und mit welcher Nutzung auch immer. Wobei deutlich wurde, dass der Slogan vom "Campus für Demokratie" offenbar vor allem sein Credo ist. Berlin habe durch voreilige Abrisse und Zugeständnisse an Investoren schon zu viel an historischer Substanz verloren, zuletzt an der East-Side-Gallery. Das solle sich hier nicht wiederholen. Gleichzeitig zeigte er sich aber offen für Teil-Nutzungen von Gebäuden durch die "Party-Szene". Es sei kein Problem, einen Club unterzubringen, oder, auf dem Dach von Haus 18 (Ecke Rusche-/Normannenstraße) eine Strandbar einzurichten, wie es von Architektur-Studenten angeregt wurde.
Auf die von Frau Frank mit Rücksicht auf die Anwohner eingebrachte Warnung davor argumentierte Jahn salopp, wem es in der Stadt zu laut sei, könne jederzeit aufs Land ziehen.
Anna Kaminsky von der Stiftung Aufarbeitung widersprach Roland Jahn heftig in seiner Einschätzung, dieses Areal sei ein wichtiger zentraler Ort für die Auseinandersetzung mit der DDR. Sie sprach sich vielmehr für mehrere dezentrale Orte aus, die sich auch nicht einseitig auf die Stasi konzentrieren sollten. Sie nannte die DDR dabei - für mich interessanterweise - ein "Unterdrückungs-, Überwachungs- und Beteiligungs-System".
Tom Sello von der Robert-Havemann-Gesellschaft sprach sich hingegen aus mehrerlei Gründen ebenfalls für den "zentralen Ort" aus. Unter anderem aus der Erfahrung heraus, dass solch ein Ort bei der Geldgebersuche durchaus wichtig sei. Ein Ausstellungsprojekt und womöglich auch die gesamte Robert-Havemann-Gesellschaft werde in absehbarer Zeit Räume der ehemaligen Stasi-Zentrale beziehen.
In einem "Themenraum: Die Stasi-Zentrale im heutigen Berlin-Lichtenberg" wurde deutlich, dass es bereits seit einigen Jahren verschiedene Planungen für das Gelände gibt. Stattbau und ein Studierenden-Team der UDK sind bereits seit 2010/2011 daran, Szenarien zu entwerfen, die teils einen weitgehenden Erhalt, teils aber auch einen weitreichenden Abriss von Gebäuden vorsehen. In einer Grafik von Stattbau wurde übrigens deutlich, dass sich nicht nur rund die Hälfte, sondern rund zwei Drittel der Gebäude in privater Hand befinden. Den interessanten Flyer der Studierenden-Gruppe, incl. bemerkens- und bedenkenswerter Formulierungen, gibt es hier anzugucken und nachzulesen: lived space stasi stadt, das Foto übrigens fotografiert vom Hof des Wohnprojekres "WilMa 19", das im ehemaligen "Haus 4" (ehemaliges Haus der ZAIG = Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe) eingezogen ist.
Es sieht nicht gut aus für den Erhalt wenigstens des Ensembles zwischen Ruschestraße, Normannenstraße, Magdalenenstraße und Frankfurter Allee. Wer sich das Gelände in seiner bisherigen Form nochmal ansehen will, sollte nicht lange zögern.
(das Foto zeigt den Rest eines Gebäudes auf der westlichen Seite der Ruschestraße, gegenüber der Zufahrt zur ehem. Stasi-Zentrale. Weitere Infos zu den Gebäuden u.a. in: Christian Halbrock: Stasi-Stadt. Die MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Berlin 2011. und: Christian Halbrock: Mielkes Revier. Berlin 2009.)

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