Saturday, January 03, 2015

Therapie oder Knietief im rassistischen Sumpf

Gestern habe ich mich mit einem Trödel-Verkäufer aus unserer Straße unterhalten. Wegen eines Plattens im Hinterrad war ich in der Nähe seines Ladens gestrandet und musste die restlichen Meter nach Hause schiebend zurücklegen. Ein paar alte Straßenschilder lagen zum Verkauf aus und ich fragte, ob er noch mehr hätte. Aus Berlin nur dieses eine, aber diverse andere aus Dresden, Frankfurt,...
"Und Stuttgart?". Er meinte, er habe keine von dort. (Dort traut sich wohl auch keiner, welche abzuschrauben, dachte ich mir so) Er witzelte in bisschen herum, ob ich denn von dort sei. Und ob ich schon "in Therapie" sei. Er sei ursprünglich aus Griechenland, und die Leute aus Athen würden über die Leute aus Thessaloniki spotten. Jene wiederum hätten sich darauf verlegt zu sagen, ja, sie seien aus Thessaloniki, seien aber bereits in Therapie. Ich meinte, es sei so gemeint, dass ich auf die Schwaben-Feindlichkeit der Berliner auch mit feiner Selbstironie reagieren solle.
Aber das war noch nicht alles. Wir kamen darauf, dass auch er in der Gegend um Stuttgart gewohnt habe. In den 60er Jahren sei er mit seiner Familie in Winnenden gelandet. Und er habe dort als einziges ausländisches Kind in der Klasse äußerst bittere Erfahrungen gemacht. U.a. hätte ihn einmal eine Lehrerin vor die Tür geschickt mit dem Hinweis, sie wolle nun den deutschen Schülern etwas mitteilen. Er sei daraufhin stolz lächelnd aus der Klasse gegangen. Hätte dann erst draußen geweint. Er muss einige Jahre dort gelebt und sehr gelitten haben. 1977 sei er dann nach Berlin gezogen. Hätte seine Zeit in Süddeutschland komplett verleugnet und den Leuten erzählt, er sei direkt aus Griechenland nach Berlin gekommen, hätte am Goethe-Institut Deutsch gelernt. Erst die letzten Jahre wolle er darüber sprechen.
Ich bin überzeugt davon, dass die Zeiten sich geändert haben und dass jene Generation, die ich auch noch kennengelernt habe und die den Rassismus und Chauvinismus verinnerlicht hatte und ihn auch begierig weitertrug, längst am Aussterben ist. Das sagte ich ihm, und er bekreuzigte sich nach dem Motto, er hoffe das auch und wäre dankbar, wenn es denn so sei. 
Vielleicht ist es u.a. die Bekanntschaft mit diesen Leuten, mit dieser noch nazifizierten Generation, die uns immer noch in Mark und Bein steckt und uns bis heute davon abhält, Party-Patriotismus u.ä. gut zu finden.   

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