Wednesday, June 05, 2013

3. Tag: Von Sierakow nach Miedzyrzecz

"Sierakow" wird auf Polnisch übrigens ausgesprochen wie ein nicht allzu beliebter Ministerpräsident Frankreichs in den 90er Jahren. Und anzufügen an die Reportage vom 2. Tag gibt es auch noch, dass ab Zajaczkowo nicht nur die Landschaft eine andere, nämlich eine deutlich welligere geworden war, sondern dass auf einmal auch die Leute viel netter waren. Die Frau im SKLEP sprudelte einfach weiter fröhlich vor sich hin, auch wenn sie längst gemerkt hatte, dass wir sie nicht verstehen. Dazu hielt extra ein Auto, und der Fahrer fragte, ob wir bei der Fahrradpanne Hilfe bräuchten. Im Nachhinein las ich, dass die Leute in Poznan und Umgebung als eher "Deutsch" gelten, womit gemeint ist, dass ihnen nachgesagt wird, dass sie zwar wirtschaftlich erfolgreich, aber unfreundlich seien... Das lass ich mal so stehen, jedenfalls hatten wir mit dem düsteren Wald zwischen Wielonek und Zajaczkowo auch die nervige Verschlossenheit der Leute hinter uns gelassen.
Los ging es heute in Sierakow. Aus dem Ferien-Gebiet am Stadtrand mussten wir wieder in die Stadt. Es regnete nicht mehr, es sah aber weiterhin trübe aus, so wollten wir abchecken, ob es heute eine Möglichkeit gäbe, in den Zug zu steigen, um ggf. einige Kilometer einzusparen. Um es vorweg zu nehmen, es gab wieder keinen Bahnhof, der noch intakt war. So blieb nichts weiter übrig, als welches-Wetter-auch-komme die heutigen 50 km hinter uns zu bringen. Es ging zunächst den Berg hinauf und wieder hinunter - die stillgelegte Bahnlinie kreuzend - nach Gora, von dort weiter nach Srem, Kurnatowice und Prusim. Alles auf sehr gut befahrbarer, kaum von Autos frequentierter Landstraße. Nach Prusim musste kurz die fette Autostraße 24 überquert werden, das ging aber zum Glück fix, jenseits der Autostraße dann den Berg hinauf und an einer Deponie vorbei, dann über Mnichy (hier im Ortskern unbedingt rechts Richtung Gralewo abbiegen, auch wenn das der Reiseführer nicht so eindeutig anzeigt!) und Gralewo bis Glazewo. Dieser Ort hätte sich ohnehin für eine Rast angeboten, wir mussten aber auch so auf jeden Fall halten, denn die nächste Platten-Panne hatte sich ereignet.
 
auf der Strecke, zwischen Gralewo und Glazewo

Glazewo zeigte sich als etwas größerer Ort, der in seiner Mitte einen schönen, durchaus größeren Teich hat. Die Häuser sind fein säuberlich um diesen herum angeordnet, was - wenn mich nicht alles täuscht - für eine deutsche Besiedlungsweise spricht. Wir machten es uns auf einer Bank vor einem Haus bequem und holten die Stullenpakete heraus. Nach einer gewissen Zeit kam gar eine ältere Anwohnerin heraus und fragte uns, ob wir nicht zum Kaffee hoch kommen wollen... Sehr nett, und da es zwar trocken, aber dennoch windig und etwas unwirtlich war, wäre das schon fein gewesen. Wir haben es aber dennoch abgelehnt, schließlich wollten wir noch weiter. Dankbar, wie wir sind, haben wir dann auch noch die Bank geschrottet, die aber schon vor uns recht morsch gewesen war... Trotzdem: au weia...
 Ortskern Glazewo mit dem Teich
 Von Glazewo ging es nun etwa 4 km auf der Bundesstraße 160 bis Lowyn: zum Glück recht wenig Autos unterwegs, aber der Wind blies doch unangenehm!
In Lowyn konnten wir diese Piste zum Glück gleich wieder verlassen, und wieder wurde ein Ort zum Wendepunkt, was die Straßenverhältnisse und die Landschaft betrifft! Aus der Ortschaft herausgefahren, wartete nun eine wunderbare neue Asphaltstrecke auf uns, und es wurde merklich flacher. Nicht ganz flach, aber die Hebungen und Senkungen wurden sanfter. Vor allem ab dem nächsten Ort Swiechocin bis hinein nach Pszczew eine wirklich großartige Strecke zum Radfahren.
 
 Dazu häufig von Wald umsäumt, so dass wir vom Wind nur noch wenig spürten. In Pszczew machten wir Halt an einem örtlichen Sklep. Hier hätte, trotz Sonntag, übrigens auch ein Edeka geöffnet gehabt.
Pszczew ist eine etwas größere Ansiedlung mit etwas über 4000 Einwohnern. Als wir mal etwas unorientiert durch den Ort fuhren, fanden wir am Straßenrand zwei Grabsteine: einen mit einem Davidstern und einer polnischen Inschrift, eine mit hebräischer Inschrift.
 
Es gab an dieser Stelle einmal einen jüdischen Friedhof, der offenbar erst in den 1970ern achtlos geschleift wurde. Die einst größere jüdische Gemeinde sei wohl schon vor den Nazis in ihrer Bedeutung geschwunden, vor allem, weil viele Menschen in Städte ausgewandert seien. Zum Weiterlesen hier ein Einstiegs-Link:
Von Pszczew ging es nun wieder eine Bundesstraße über Policko und Bobowicko nach Miedzyrzecz: keine besonders angenehme Straße, obwohl sie meistens bergab führt. Möglicherweise war, weil Sonntag war, sogar noch halbwegs wenig los. Wochentags ist diese Straße sicher nochmal eine Stufe verkehrsreicher und nerviger.
Wobei man sich schon freuen kann, wenn man Bobowicko erreicht hat, denn ab da führt ein Gehweg rechts der Bundesstraße bis hinein ins Stadtzentrum. Auf den letzten Kilometern kam nun die Sonne heraus. Wir hatten wieder ein Quartier vorbestellt. Nach längerem Suchen stellte es sich als (Fernfahrer-?) Motel direkt an einer Tankstelle heraus, durchaus rund 2 km vom Stadtzentrum entfernt. Die anfangs nicht so große Begeisterung steigerte sich schließlich aber wieder, denn das Essen war gut, die Leute nett und auch die Zimmer rundum gut. Und in die Stadt wollte nun eh keiner mehr von uns...  

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