Tuesday, April 02, 2013

SLIME-Band-Biographie


Eine Band-Biographie über Slime? Für Fans ein Muss, sollte man meinen. Unbesehen habe ich es mir dann auch schenken lassen, kurz nachdem das Buch am 4. März 2013 erschien.

Der spontane Eindruck beim ersten Durchblättern war dann etwas enttäuschend. Es ist sehr groß geschrieben („für Lese-Anfänger extra groß geschrieben“, hat das ein Fanzine-Herausgeber mal genannt), enthält wenige Abbildungen (und von diesen kennt man die meisten schon) und in der Band-Diskographie sind nicht alle Scheiben mit Cover abgebildet.
Dennoch habe ich es natürlich gelesen, und es fällt schnell auf, dass das Buch sehr leicht zu lesen ist. Der Text erinnert an einen „Spiegel“-Artikel: es ist Fakten-reich, journalistisch gut aufgearbeitet und sehr gut lesbar verfasst. Weitgehend chronologisch arbeitet der Autor, ein Journalist aus St. Gallen in der Schweiz, Jahrgang 1979, die ebenfalls 1979 beginnende Band-Geschichte von Slime auf. Er stützt sich dabei vor allem auf nachträglich getätigte Aussagen der (ehemaligen oder immer noch aktiven) Band-Mitglieder sowie von Menschen, die im Laufe ihres Lebens mit Slime in Berührung gekommen waren. Und es ist durchaus reizvoll, Beobachtungen von Musikern wie Schorsch Kamerun, Rocko Schamoni, Jan Delay und zahlreichen anderen zu hören: prominente Musiker, die man nicht automatisch mit Slime in Verbindung gebracht hätte.
Weiterhin besonders interessant ist der Hintergrund zum „Deutschland muss sterben“-Text, das alte Krieger-Denkmal aus der Nazi-Zeit, das immer noch in Hamburg steht, obwohl es nach dem Krieg eigentlich geschleift werden sollte. Ebenfalls spannend natürlich die Geschichten zum frühen Punk in Hamburg, der Hamburger Hafenstraße und zum FC St. Pauli: alles Entwicklungen im direkten Umfeld von Slime. Und die Band-Entwicklungs-Geschichte selbst: die Ur-Besetzung (zu der weder Dirk Jura noch Stephan Mahler gehörten), die Umbesetzungen, die Indizierungen und darauf folgenden (Selbst-) Zensierungen, der Kommerz-Vorwurf (thematisiert mit dem Album „Alle gegen Alle“), Hintergründe zur ersten Auflösung 1984 und der legendären „Ansage“ zum Konzert in Berlin / Pankehallen 1984: mit dieser war also eine Gruppe Nazis gemeint, die sich eingeschlichen hatte. Die Re-Union 1992 mit den beiden LPs „Viva La Muerte“ und „Schweineherbst“ und der erneute Split danach. Das Rubberslime-Experiment. Die erneute Re-Union-Tour 2010, bis zur neuen LP mit Texten von Erich Mühsam.
Diese Erzählungen bringen interessante Hintergründe zutage, und die Lektüre lässt einen neu überlegen, was einem die Band bedeutete und für was die Band stand. Für mich persönlich stehen Slime für eine totale, radikale Verneinung von allem und jedem, eine Einstellung, die sehr einschneidend und wichtig für mein weiteres Leben wurde.

Daniel Ryser hat die geführten Interviews in einer ansprechenden, gut lesbaren Form zusammen getragen. Deutlich wird jedoch eine spürbare Distanz zur Band und zu ihrem Umfeld, er dürfte sich keineswegs als Punk oder Linksradikaler begreifen. Ein Satz von ihm mag das auf den Punkt bringen: „Es gibt ein Konzept, man kann es bürgerlich nennen oder einfach nur vernünftig: zuerst eine Ausbildung abschließen und sich dann ordentlich austoben. Dieses Konzept hatte Dirk nicht verinnerlicht.“ (S. 23)
Letztendlich bleibt eine Schwäche des Buches, dass ein Außenstehender, deutlich jüngerer Autor die Band-Geschichte von Slime zu schreiben versucht. Es ist nicht zu spüren, dass der Autor ein Gefühl für die Bedeutung der Band in der Punk- sowie der linksradikalen Szene und für die Umstände der Zeit erhält. Er schreibt seinen Text aus heutiger Sicht und mit heutigen (bürgerlichen) Wertungen.
Dieser Blick von außen gibt ihm natürlich auch etwas Besonderes. Interessant sind unter anderem seine Charaktisierungen der Band-Mitglieder (u.a. Dirk Jura als das proletarische Element der Band und Elf als der ewige Rock’n’Roller – schlechter kommt der als unbeständig, unzuverlässig und selbstherrlich charakterisierte Stephan Mahler weg…). Dennoch hätte man sich als Fan einen Band-Biographen gewünscht, der näher an der Zeit und mehr Teil des Geschehens war.
Rein Punk-historisch wäre es auch sehr interessant gewesen, der Frage nachzugehen, wie Slime ihre besondere Stellung in der Punk-Szene erreichen konnte, es gab ja um 1982 (DER klassischen Deutschpunk-Ära) viele weitere Bands mit radikalen, eindeutigen Texten: warum wurden Slime bedeutender als Toxoplasma oder Canal Terror? Auch bleibt die direkte Nachfolge-Band von Slime, Targets, völlig unerwähnt.
Auch rein formal hätte dem Buch eine gute Prise mehr Punk-Spirit gut getan. In den letzten Jahren boomte die Punk-Rückblicks-Literatur, deren herausragende Exemplare gerade dadurch bestechen, dass sie zeitgenössische Original-Dokumente wie Zeitungs- und Fanzineartikel, Flyer, Poster, u.ä. dokumentieren. Dies alles fehlt schlicht, ist nicht vorhanden. Obwohl Slime gerade Boulevard-Zeitungs-Artikel in nennenswerter Anzahl provoziert haben und es sicher ein Leichtes gewesen wäre, diese aufzutreiben. Bei genauer Betrachtung fallen dann auch in der Diskographie durchaus schwerwiegende Lücken auf. Hier hätte es schon genügt, diese einem Fan vorab zum Lektorat vorzulegen. Auch eine Auflistung aller gespielten Konzerte hätte sich in einer Band-Biographie sehr gut gemacht.

So bleibt der Eindruck, dass das Buch etwas schnellfertig abgeschlossen wurde, möglicherweise drängte da der Termindruck, das Buch rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse vorliegen zu haben. Die Band scheint mit dem Buch zufrieden zu sein, schließlich tourt sie im April mit dem Autor und führt eine Lese-Reise incl. Akkustik-Set durch – ein Format übrigens, dass man schon vom Buch-Projekt „Keine Zukunft war gestern“ kennt.
Es wäre jedoch deutlich mehr drin gewesen, bei einer Biographie über die bis heute wichtigste deutsche Punk-Band. Es bleibt ein Buch, das man einmal durchliest, dann aber wieder beiseite legt und womöglich nie wieder anfasst. Einer Neuauflage wünsche ich einen gehörig erweiterten Fan-Anteil.

Daniel Ryser: Slime. Deutschland muss sterben.
Wilhelm Heyne Verlag München, 2013.

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