Ralph Giordano: Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr
„Ich bin hier auf
Sizilien so unfähig wie nirgends sonst, nur in der Gegenwart zu denken. Die
Wahrheit ist, dass die Vergangenheit überall mitlebt.“ (S. 95*)
Giordanos rund 300 Seiten langer Reisebericht lässt Gedanken an einen
ausgiebigen Urlaub auf Sizilien aufkommen: es muss doch ein Traum sein, sich die
Insel zu erlaufen, um die karge Landschaft mit den imposanten Bergen, die ich
zuletzt unter anderem im Film „Der Sizilianer“
bestaunte, und das Leben dort ausgiebig kennenzulernen. Aber warum eigentlich gerade
Sizilien, was soll all der Häckmäck um Sizilien? Hätte man nicht auch auf der Schwäbischen Alb
eine rauhe, naturgeographisch und historisch interessante Gegend mit
spannenden, rätselhaften Geschichten…? Und das in relativ naher Entfernung,
ohne eine fremde Sprache erlernen zu müssen?
Im Jahr 2002 machte sich Ralph Giordano im Alter von 78
Jahren auf den Weg nach Sizilien, um einem Teil seiner Familiengeschichte
nachzugehen. Sein Großvater war einst von dort, genauer gesagt aus der
Kleinstadt Riesi, nach Hamburg gezogen. Er beschreibt in Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr ausführlich die Eindrücke, die er
von der Insel und auch in Kontakten mit den Bewohnerinnen und Bewohner gewinnt.
Es ist das erste nicht-politische Buch, das ich von diesem 2014 verstorbenen
Autoren lese. Ich schätze seine Art, leidenschaftlich und mit klarem
Standpunkt, dabei aber niemals unfair und ohne eventuelle Einwände zu übergehen,
zu argumentieren. In diesem Reisebericht muss er nicht viel argumentieren,
gegen niemanden anschreiben. Seine Schilderungen aus Sizilien empfinde ich auch
nicht als große Literatur, aus seinen teilweisen Halbsätzen sprechen aber seine
Begeisterung und Ergriffenheit. Und wie im Eingangszitat deutlich wird, achtet
er häufig auf Dinge, die auch mir wichtig sind.
Giordano hat ideale Voraussetzungen für eine Sizilien-Reise,
nämlich einen mit ihm lange bekannten Fahrer, der ihm zeitgleich als Übersetzer
dienen kann. Besser geht es nicht, denn genau diese beiden Probleme hat man als
Sizilien-Reisender: wie bewegt man sich abseits der Bahn- und Busstrecken durch
das Land, insbesondere durch die ländlichen Gegenden, und was macht man ohne
ausreichende Italienisch-Kenntnisse?
Zu zweit fahren beide durch weite Teile der Insel – ich
führe hier nun nur die Städte und Gegenden auf, die mich (teilweise neu,
teilweise wieder) neugierig gemacht haben: die Nekropole
Pantalica bei Siracusa, das „Tal
der Tempel“ bei Agrigent, die Tempeltrümmer bei Selinunte und Segesta. Dazu der Ätna.
Corleone. Palermo. Die Berge bzw. Bergketten: Madonie, Monti Nebrodi, Monti
Peloritani. Als 78-jähriger bestieg er übrigens nicht mehr den Ätna und sah
sich auch die Berge nur von Autoparkplätzen aus an.
Auch die Liparischen Inseln besucht er. An der Hauptinsel Lipari fährt er eher nur vorbei, echauffiert sich dabei über die Hässlichkeit – seinerzeit wurde der Bims im Nordosten der Insel noch abgebaut; dass er das „ein Bild, das weh tut“ nennt, „als würde der Natur die Haut abgezogen“ (S. 247), erscheint mir verständlich. Heutzutage gibt es ja nur noch die Hinterlassenschaften des 2007 endgültig beendeten Abbaus zu sehen, die schrittweise zu wuchern. In Ginostra auf der Insel Stromboli verbringt er schließlich mehrere Tage.
Auch die Liparischen Inseln besucht er. An der Hauptinsel Lipari fährt er eher nur vorbei, echauffiert sich dabei über die Hässlichkeit – seinerzeit wurde der Bims im Nordosten der Insel noch abgebaut; dass er das „ein Bild, das weh tut“ nennt, „als würde der Natur die Haut abgezogen“ (S. 247), erscheint mir verständlich. Heutzutage gibt es ja nur noch die Hinterlassenschaften des 2007 endgültig beendeten Abbaus zu sehen, die schrittweise zu wuchern. In Ginostra auf der Insel Stromboli verbringt er schließlich mehrere Tage.
Einen besonderen Anteil nehmen die Schilderungen aus Riesi ein,
der Kleinstadt im Süden der Insel, in der er schließlich sogar zum Ehrenbürger ernannt
wird. Böse gesagt ist das im Einzelnen für den Leser nicht weiter interessant.
Die intensiv geschilderten persönlichen Kontakte mit Einheimischen lassen aber an
eigene Italien-Erlebnisse denken, an besondere Einblicke, die man nur in befreundeten
Familien oder durch andere Einheimische gewinnt.
Natürlich ist es Humbug, das rund 25.000 qm große Sizilien mit
der knapp 6.000 qm umfassenden Schwäbischen Alb vergleichen zu wollen. Auf
Sizilien ist das Wetter besser, insbesondere wärmer und sonniger als auf der
Schwäbischen Alb. Der Historienschatz ist weitaus reichhaltiger. Die Insel wird
zudem von einem noch existenten Meer umgeben und hat einen weiterhin aktiven
Vulkan zu bieten. Der dem Leben auf Sizilien Giordano zufolge einen besonderen
Groove, eine besondere Form von Unruhe verleiht.
Es muss also doch wieder Sizilien samt Lipari sein, auch wenn es (noch?) keine „Heimkehr“ für mich sein wird. Und für das Italienisch-Problem sollte es doch irgendwann auch eine Lösung geben…
Es muss also doch wieder Sizilien samt Lipari sein, auch wenn es (noch?) keine „Heimkehr“ für mich sein wird. Und für das Italienisch-Problem sollte es doch irgendwann auch eine Lösung geben…
*Seitenangaben beziehen
sich auf die Erstauflage von 2002, Verlag Kiepenheuer & Witsch.
Labels: Sizilien
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